Freitag, 5. Februar 2016

Akte X: Yes, we can!

Akte X ist wieder da. Große Freude. Große Erwartung. Großes Zittern. Was, wenn…? Wenn Wesentliches einfach weg ist? Der Zauber verflogen, der Spuk vorbei, der Nervenkitzel im Keller? Wenn Mystery nicht mehr geraunt wird, Mulder Alter-Mann-Husten hat und Scully, ja, nicht mehr Scully ist?
Scully. So schön, so kühl und rothaarig. So unbeeindruckt und erstaunt. So ohne wirklich lächeln zu können, aber mit Augen, die vom Lächeln im richtigen Moment wissen. Dieser Blick. Oh ja. Wer ist The Look? Lauren Bacall. Klar. Charlotte Rampling. Logisch. Gillian Anderson. Auf jeden (finsteren) Fall.
Scully und Mulder 2016
Scully und Mulder 2016
Genug geschwärmt. Dana Scully ist jetzt blond. Und um einige gute Jahre gereift. Fox Mulder alias David Duchovny auch. Natürlich. Immerhin, sie kehren zurück in optischer Top-Form. Ab Montag, 8. Februar, 21.10 Uhr, zeigt ProSieben Staffel 10 der legendären US-amerikanischen Fernsehserie „Akte X – Die unheimlichen Fälle des FBI“ (The X-Files) mit Originalvorspann!, die in der Zeit von 1993 bis 2002 produziert, ausgestrahlt, angeguckt, eingesaugt, verschlungen, gefressen wurde.
Übertrieben? Schön, da gab es auch lahme Folgen, lange Gesichter, kleines verstohlenes Gähnen, krauses Grinsen, Stirnrunzeln (öfter) mal hier, mal da, es war ja nicht immer und überhaupt alles sensationell. Aber grundsätzlich war es verdammt gut.
Und gleichsam grundsätzlich war es jammerschade, als das Licht ausging. Auch, wenn es immer irgendwann tatsächlich Zeit wird, die Koffer zu packen und in der Nacht unterzutauchen. Weil der Wind Staub mit sich schleppt und um frischen Brisen bettelt. Vierzehn Jahre ist das jetzt her, seitdem die Klappe fiel, und gab es auch 2008 diesen einen Film „Jenseits der Wahrheit“ mit den vertrauten Gesichtern, zurück bringen konnte der das alte dunkle Spiel so nicht mehr. Das war die Serie, das bleibt sie.
Genre-Mutter Axte X, dieser genial gemixte Cocktail aus Krimi, Horror und Science-Fiction, löste damals einen regelrechten Hype, eine Mystery-Monsterwelle aus, die Serien wie FringeLost und Supernatural sicher an Land brachte. 202 Episoden entstanden bis 2002, dazwischen wurde ein Kinofilm (1998: Akte X – Der Film) mit durchaus beachtlichem Erfolg eingeworfen. Es boomte. Und wie.
Wird es das wieder? Für Überlebenswichtiges ist zumindest mit der deutschen Synchronstimme von Agentin Scully gesorgt: Die übernimmt, wie gehabt und geliebt, Franziska Pigulla, und die ist Rauch und Gold und leichte Heiserkeit wert.
Mulder klingt jetzt anders, das liegt an Sven Gerhardt, der ihn nach Benjamin Völz (lange Zeit, immer noch gut im Ohr) und Johannes Berenz (kurzes Intermezzo) spricht. Da müssen wir uns dran gewöhnen, mag sein, es funkt. Ach was. Wird schon.
Hauptsache: Es gibt keine neue Skepsis-Scully, keinen neuen Verschwörer-Mulder. Keinen neuen Akte-Macher. Chris Carter, Erfinder der Serie, zur Geburtsstunde der Akte X noch ein rechtes Genre-Grennhorn, ist heute mit achtundfünfzig Jahren im besten Mannesalter und weise genug, für seine (vorerst) sechs Revival-Episoden gezielt auf alte X-Traditionen zu setzen.
Neue Zeit(-en)
Neue Zeit(-en)
Natürlich wird er der Mode gerecht: Das allumfassende Internet als (längst schon) Gottes Wink und Teufels Gruß, Wunderwaffen-Medium der Popkultur in den 1990ern, ist überirdisch präsent mit all seinen Auswüchsen und Trieben. Und überhaupt: Die Technik im neuen Akte-Look ist natürlich erschlagend ausgefeilt, und was da so perfekt Gutes gezeigt wird, verdankt Carter, gleichsam logisch, auch den deutlich besseren finanziellen Möglichkeiten. Der Aufwand kostet. Lohnenswert?
Carter zeigt sich zuversichtlich, denkt an alte Quotenrekorde, träumt ein wenig (darf er) und sagt es selbstbewusst:
„Ich wage zu behaupten dass wir das Genre auf eine clevere Art behandeln. Wir erkunden Dinge, die mit Wissenschaft und Glauben zu tun haben, auf eine Art, wie es kein anderer macht.“ (TV-Spielfilm, Heft 3, 2016)
Wie kein anderer…yes, we can. Oder wie war das? Nach irgendwie unbequemem Start in den Staaten, – die Xphiles, wie die Fans sich nennen, zeigten sich anfangs zwiegespalten, höchst kritisch, aber abwartend, freilich durchaus wohlgesonnen -, soll die Serie noch altvertraut in Fahrt kommen. Angeschimmelt und irgendwie in Endlosschleife erzählt ist wohl nichts. Das klingt blitzsauber, das klingt aber auch nach altbewährtem TV-Konzept:
Da ist der rote Faden, der sich durch alle Stories zieht, da sind die verschiedenen wöchentlichen Monster, Aliens, höchst merkwürdige Phänomene und Kreaturen. Da sind die Regierung, die alles versteckt, und die Außerirdischen im Labor. Da ist die coole Pragmatikerin, da ist der besessene Jäger.
Alles in Ordnung soweit. Und sowieso, es sind jetzt erst einmal diese sechs Folgen, die uns beschäftigen sollten. Produzent Glen Morgan sagt das mal so:
„Die erste und sechste Folge sind der Dienst an der Mythologie, und die in der Mitte können für sich allein stehen.“ (TV-Spielfilm, Heft 3, 2016)
Alte Zeit(-en)
Alte Zeit(-en)
Jetzt wissen wir’s. Wobei das wache Auge grad die Sache mit der Mythologie scharf mustern wird. Immerhin war das teils schon etwas chaotisch, wie da im Galopp verschworen, vertuscht, verfranzt wurde, mag sein, zu viel des Tempos, so mancher Xphile wurde müde.
Hoffentlich ausgeschlafen. Erster Gedanken beim Aufwachen: Wird das wieder so richtig was? Los geht’s auf jeden Fall mit einem fetten Crash. Ufo in New Mexico. Scully und Mulder im nüchternen Wiedersehenstaumel. Hach.

Ergo zweiter Gedanke: Kriegen die sich denn irgendwann richtig? Die beiden? Harry und Sally. Scully und Mulder. Passt doch.
copyright by Karin Reddemann
erschienen unter www.phantastikon.de

Frodos Leichen: Maniac

Im Keller versteckt hat er sie nicht. Des Herrn Frodos Leichen findet man auf der Leinwand. Gut sichtbar, böse anzuschauen. Der ewige Film-Frodo alias (natürlich!) Elijah Wood macht kein Geheimnis daraus, dass er auf finstere Gestalten steht. Sehr gern auf milchgesichtige Durchschnittstypen, die tatsächlich durchgeknallte Mörder sind.
Herr „Elijah“ Frodo, der liebenswerte tapfere Beutlin-Bursche aus der Tolkien-Trilogie, kann ergo auch ganz anders: Wood spielt den Kannibalen Kevin in Sin City, der Frauen verschleppt, Teile von ihnen bei lebendigem Leib verspeist, – die Szene: Lucille zeigt Marv im Kerker ihren Stumpf und sagt, Kevin habe ihr die linke Hand abgegessen-, sie dann tötet, weiter verzehrt und ihre Köpfe als Wandtrophäen sammelt. Er spielt auch Frank Zito. Wenn der Namen nicht sofort die Pforte(n) öffnet, voilá, die Schauer-Schlüsselworte:
Schaufensterpuppen. Schreie. Skalps. Maniac.
Wood in Maniac
Wood in Maniac
Zitos düstere Geschichte, 2012 als genialer Grusel-Kunst-Mix für das Kino erzählt von Alexandre Aja als Produzent/Drehbuchautor und Frank Khalfoun als Regisseur, ist ein Remake des US-amerikanisch-französischen Horror-/Psychothrillers Maniac(1980, Regie: William Lustig), der zum Subgenre des Slasherfilms zählt. Den fanden viele damals schockierend unappetitlich.
Zu Unrecht zu engstirnig beurteilt. Meinten andere. Ein „Klassiker, der aufgrund der harten Effekte oftmals missverstanden wurde“, sagt Autor Peter Osteried, Experte für Film und Fernsehen, fügt ergänzend hinzu, was ganz klar vor sechsunddreißig Jahren wie auch 2012 zentrale Sache war: Es sei ein Film, der „einen Blick in die Abgründe menschlichen Seins “ werfe. Korrekt soweit. Im „Lexikon des Internationalen Films“ kommt Lustigs Original trotzdem nur arg unfreundlich weg:
„Grusel- und Gewaltprodukt primitiven Zuschnitts, das vorwiegend auf Ekel setzt.“
Der amerikanische Fernsehmoderator Gene Siskel (1946 – 1999), der als einer der angesehensten Filmkritiker der 1980er-/-90er gegolten hat, bekundete in seiner Sendung Sneak Previews, so entsetzt und angewidert vonManiac gewesen zu sein, dass er vorzeitig den Vorführraum verlassen musste. Gut, das war eine recht deutliche Reaktion, vielleicht zu krass, zu empfindlich zumindest aus heutiger Sicht, abgeklärter wurden wir alle, was den Würgereiz betrifft.
Zu abgeklärt für das krasse Remake von Maniac mit Sicherheit nicht. Es geht (auch) 2012 gut düster und vor allem großartig professionell ab. Alexandre Aja belegt nach „The Hills have Eyes“ (2006), seiner perfekt konstruierten Mischung aus Wes-Craven-Hommage und Eins-A-Qualität (Original: 1977), dass er dem großen Vorbild stets Respekt zollt. Er geht den gleichen Weg bis tief unter die Haut. Das ist Klasse. Und stößt im „Lexikon des Internationalen Films“ erneut auf Missfallen.
„Der Film hält sich weitgehend an die Handlung des Originals, inszeniert sie jedoch anders: Er nimmt weitgehend den Blickwinkel des Täters ein, was überdeutliche Gewaltszenen nach sich zieht, dem beabsichtigten Psychogramm eines Wahnsinnigen aber im Wege steht. Ein über die Maßen brutaler, lediglich dem Gore-Effekt verpflichteter Abklatsch.“
Fies genörgelt, unfair in die Ecke gestellt. Elijah Wood kommt dem Wahnsinn in etwa so genial nahe wie ein Anthony Perkins bei Hitchcock, sein psychotisches Brüten erwischt den Zuschauer eisig. Wood ist ernst, kalt, grüblerisch, unsicher und dann doch sehr direkt.
Joe Spinell in Maniac
Joe Spinell in Maniac
Optisch ist er ein gänzlich anderer Typ als Joe Spinell (1936 – 1989), der den Frank Zito in der Verfilmung von 1980 spielt. (Spinell, auch als Zeichner bekannt geworden, arbeitete damals am Drehbuch mit.) Der italienischstämmige Schauspieler sah aus wie der Kerl von einem Mann, dessen Unmut man ungern kennenlernen will, und damit war er prädestiniert für Böse-Jungs-Rollen (Der Pate, Taxi-Driver, Nightshift…).
Ergo wirkte Spinell natürlich schon auf den ersten Blick markanter, bedrohlicher als der 1,68-cm-kleine Wood, mit seinen babyblauen Augen, der schon als Kind so ein „liebes Energiebündel“ (Woods Mutter Deborah) war. Dem man „unseren Frodo“ bedingungslos abnimmt. Den man, wenn man ihn beguckt, so herzlich drücken möchte.
Wenn er nicht grad einen verrückten Serienkiller gibt. Und das kann er zweifellos. Wood, artig im Auenland und so gar nicht braver Junge sonstwo da draußen, ist wandlungsfähig, das beweist er als der aus der Linie geratene Student Matt Buckner in Hooligans (2006), als Doktorand Martin auf Mördersuche in Oxford Murders (2008). Das beweist er auch (wohl noch) als Produzent: 2010 gründete Elijah Wood gemeinsam mit zwei Freunden die Horrorfilm-Firma The Woodshed , später in Spectre Vision umgetauft. Bis dato wurden vier verschiedene Filme gedreht, in Open Windows (2014) und Cooties (2015) spielte Wood jeweils die Hauptrolle.
Und er beweist es einmal mehr und durchaus schwer beeindruckend als Frank Zito.
Zito in Maniac ist ein Sonderling mit schrecklichen und zugleich traurigen Kindheitserinnerungen, geprägt vor allem durch seine Mutter, einer Prostituierten. Zu den Schaufensterpuppen, die restauriert, hat er ein krankhaft inniges Verhältnis. Nachts lauert Zito, von Unruhe getrieben, Frauen auf, skalpiert sie und schmückt mit den blutigen Haar-Trophäen seine Puppen. Dann verliebt er sich in die Fotografin Anna, und vorübergehend scheint sein Wahn irgendwie kontrolliert zu sein.
Klare Fehlprognose. Frank verliert die Nerven, halluziniert, mordet wieder.Im Original von 1980 überlebt Anna, im Remake findet auch sie, nachdem sie sein entsetzliches Geheimnis entdeckt hat, einen grausamen Tod. Im Kampf kann sie ihn zwar schwer verwunden, aber er skalpiert sie bei vollem Bewusstsein und schleppt sich allein zurück in seine Wohnung.
Dort hat er die Vision, dass seine Schaufensterpuppen lebendig werden und die Gestalt der jeweiligen Opfer annehmen, deren Haare sie tragen. Anna erscheint im Brautkleid. Sie stürzen sich auf Frank und zerreißen ihn. Eine Spezialsondereinheit findet ihn am nächsten Morgen tot vor.
Im Original liegt er mit einem Dolch im Bauch auf dem Bett. Nachdem die hier von Anna gerufenen Polizisten sich von ihm abgewandt haben, öffnet er die Augen.
Zweifellos ist der blutige Power-Schluß mit schwerstem Psycho-Touch in beiden Versionen Horror pur im perfekten Bild. CINEMA FOREVER schreibt dazu:
„Das Ende ist dann noch der ganz besondere Paukenschlag und von einer so intensiven Symbolik signiert, dass dem Zuschauer ein kalter Schauer über den Rücken läuft, denn es bleibt ein Trugschluss: Humanität wird zur statischen Fassade, alles Illusionäre greift ein und lässt die beiden Ebenen miteinander verschmelzen. Es gibt nur Einsamkeit, Tod und den stummen Schrei nach Liebe.“
Alles wird gut!
Alles wird gut!

So sei es hier. Für Wood gilt mehr. Zur glücksbringenden Sicherheit hat der sich zur Erinnerung an den Herrn der Ringe eine Tätowierung auf die rechte Taille stechen lassen, das Wort Neun in Elbischer Sprache. Passt so gar nicht zu einem psychopathischen Serienkiller. Ist auch besser so.
Frodo Forever. Eben.
copyright by Karin Reddemann
erschienen unter www.phantastikon.de