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Freitag, 5. Februar 2016

Akte X: Yes, we can!

Akte X ist wieder da. Große Freude. Große Erwartung. Großes Zittern. Was, wenn…? Wenn Wesentliches einfach weg ist? Der Zauber verflogen, der Spuk vorbei, der Nervenkitzel im Keller? Wenn Mystery nicht mehr geraunt wird, Mulder Alter-Mann-Husten hat und Scully, ja, nicht mehr Scully ist?
Scully. So schön, so kühl und rothaarig. So unbeeindruckt und erstaunt. So ohne wirklich lächeln zu können, aber mit Augen, die vom Lächeln im richtigen Moment wissen. Dieser Blick. Oh ja. Wer ist The Look? Lauren Bacall. Klar. Charlotte Rampling. Logisch. Gillian Anderson. Auf jeden (finsteren) Fall.
Scully und Mulder 2016
Scully und Mulder 2016
Genug geschwärmt. Dana Scully ist jetzt blond. Und um einige gute Jahre gereift. Fox Mulder alias David Duchovny auch. Natürlich. Immerhin, sie kehren zurück in optischer Top-Form. Ab Montag, 8. Februar, 21.10 Uhr, zeigt ProSieben Staffel 10 der legendären US-amerikanischen Fernsehserie „Akte X – Die unheimlichen Fälle des FBI“ (The X-Files) mit Originalvorspann!, die in der Zeit von 1993 bis 2002 produziert, ausgestrahlt, angeguckt, eingesaugt, verschlungen, gefressen wurde.
Übertrieben? Schön, da gab es auch lahme Folgen, lange Gesichter, kleines verstohlenes Gähnen, krauses Grinsen, Stirnrunzeln (öfter) mal hier, mal da, es war ja nicht immer und überhaupt alles sensationell. Aber grundsätzlich war es verdammt gut.
Und gleichsam grundsätzlich war es jammerschade, als das Licht ausging. Auch, wenn es immer irgendwann tatsächlich Zeit wird, die Koffer zu packen und in der Nacht unterzutauchen. Weil der Wind Staub mit sich schleppt und um frischen Brisen bettelt. Vierzehn Jahre ist das jetzt her, seitdem die Klappe fiel, und gab es auch 2008 diesen einen Film „Jenseits der Wahrheit“ mit den vertrauten Gesichtern, zurück bringen konnte der das alte dunkle Spiel so nicht mehr. Das war die Serie, das bleibt sie.
Genre-Mutter Axte X, dieser genial gemixte Cocktail aus Krimi, Horror und Science-Fiction, löste damals einen regelrechten Hype, eine Mystery-Monsterwelle aus, die Serien wie FringeLost und Supernatural sicher an Land brachte. 202 Episoden entstanden bis 2002, dazwischen wurde ein Kinofilm (1998: Akte X – Der Film) mit durchaus beachtlichem Erfolg eingeworfen. Es boomte. Und wie.
Wird es das wieder? Für Überlebenswichtiges ist zumindest mit der deutschen Synchronstimme von Agentin Scully gesorgt: Die übernimmt, wie gehabt und geliebt, Franziska Pigulla, und die ist Rauch und Gold und leichte Heiserkeit wert.
Mulder klingt jetzt anders, das liegt an Sven Gerhardt, der ihn nach Benjamin Völz (lange Zeit, immer noch gut im Ohr) und Johannes Berenz (kurzes Intermezzo) spricht. Da müssen wir uns dran gewöhnen, mag sein, es funkt. Ach was. Wird schon.
Hauptsache: Es gibt keine neue Skepsis-Scully, keinen neuen Verschwörer-Mulder. Keinen neuen Akte-Macher. Chris Carter, Erfinder der Serie, zur Geburtsstunde der Akte X noch ein rechtes Genre-Grennhorn, ist heute mit achtundfünfzig Jahren im besten Mannesalter und weise genug, für seine (vorerst) sechs Revival-Episoden gezielt auf alte X-Traditionen zu setzen.
Neue Zeit(-en)
Neue Zeit(-en)
Natürlich wird er der Mode gerecht: Das allumfassende Internet als (längst schon) Gottes Wink und Teufels Gruß, Wunderwaffen-Medium der Popkultur in den 1990ern, ist überirdisch präsent mit all seinen Auswüchsen und Trieben. Und überhaupt: Die Technik im neuen Akte-Look ist natürlich erschlagend ausgefeilt, und was da so perfekt Gutes gezeigt wird, verdankt Carter, gleichsam logisch, auch den deutlich besseren finanziellen Möglichkeiten. Der Aufwand kostet. Lohnenswert?
Carter zeigt sich zuversichtlich, denkt an alte Quotenrekorde, träumt ein wenig (darf er) und sagt es selbstbewusst:
„Ich wage zu behaupten dass wir das Genre auf eine clevere Art behandeln. Wir erkunden Dinge, die mit Wissenschaft und Glauben zu tun haben, auf eine Art, wie es kein anderer macht.“ (TV-Spielfilm, Heft 3, 2016)
Wie kein anderer…yes, we can. Oder wie war das? Nach irgendwie unbequemem Start in den Staaten, – die Xphiles, wie die Fans sich nennen, zeigten sich anfangs zwiegespalten, höchst kritisch, aber abwartend, freilich durchaus wohlgesonnen -, soll die Serie noch altvertraut in Fahrt kommen. Angeschimmelt und irgendwie in Endlosschleife erzählt ist wohl nichts. Das klingt blitzsauber, das klingt aber auch nach altbewährtem TV-Konzept:
Da ist der rote Faden, der sich durch alle Stories zieht, da sind die verschiedenen wöchentlichen Monster, Aliens, höchst merkwürdige Phänomene und Kreaturen. Da sind die Regierung, die alles versteckt, und die Außerirdischen im Labor. Da ist die coole Pragmatikerin, da ist der besessene Jäger.
Alles in Ordnung soweit. Und sowieso, es sind jetzt erst einmal diese sechs Folgen, die uns beschäftigen sollten. Produzent Glen Morgan sagt das mal so:
„Die erste und sechste Folge sind der Dienst an der Mythologie, und die in der Mitte können für sich allein stehen.“ (TV-Spielfilm, Heft 3, 2016)
Alte Zeit(-en)
Alte Zeit(-en)
Jetzt wissen wir’s. Wobei das wache Auge grad die Sache mit der Mythologie scharf mustern wird. Immerhin war das teils schon etwas chaotisch, wie da im Galopp verschworen, vertuscht, verfranzt wurde, mag sein, zu viel des Tempos, so mancher Xphile wurde müde.
Hoffentlich ausgeschlafen. Erster Gedanken beim Aufwachen: Wird das wieder so richtig was? Los geht’s auf jeden Fall mit einem fetten Crash. Ufo in New Mexico. Scully und Mulder im nüchternen Wiedersehenstaumel. Hach.

Ergo zweiter Gedanke: Kriegen die sich denn irgendwann richtig? Die beiden? Harry und Sally. Scully und Mulder. Passt doch.
copyright by Karin Reddemann
erschienen unter www.phantastikon.de

Frodos Leichen: Maniac

Im Keller versteckt hat er sie nicht. Des Herrn Frodos Leichen findet man auf der Leinwand. Gut sichtbar, böse anzuschauen. Der ewige Film-Frodo alias (natürlich!) Elijah Wood macht kein Geheimnis daraus, dass er auf finstere Gestalten steht. Sehr gern auf milchgesichtige Durchschnittstypen, die tatsächlich durchgeknallte Mörder sind.
Herr „Elijah“ Frodo, der liebenswerte tapfere Beutlin-Bursche aus der Tolkien-Trilogie, kann ergo auch ganz anders: Wood spielt den Kannibalen Kevin in Sin City, der Frauen verschleppt, Teile von ihnen bei lebendigem Leib verspeist, – die Szene: Lucille zeigt Marv im Kerker ihren Stumpf und sagt, Kevin habe ihr die linke Hand abgegessen-, sie dann tötet, weiter verzehrt und ihre Köpfe als Wandtrophäen sammelt. Er spielt auch Frank Zito. Wenn der Namen nicht sofort die Pforte(n) öffnet, voilá, die Schauer-Schlüsselworte:
Schaufensterpuppen. Schreie. Skalps. Maniac.
Wood in Maniac
Wood in Maniac
Zitos düstere Geschichte, 2012 als genialer Grusel-Kunst-Mix für das Kino erzählt von Alexandre Aja als Produzent/Drehbuchautor und Frank Khalfoun als Regisseur, ist ein Remake des US-amerikanisch-französischen Horror-/Psychothrillers Maniac(1980, Regie: William Lustig), der zum Subgenre des Slasherfilms zählt. Den fanden viele damals schockierend unappetitlich.
Zu Unrecht zu engstirnig beurteilt. Meinten andere. Ein „Klassiker, der aufgrund der harten Effekte oftmals missverstanden wurde“, sagt Autor Peter Osteried, Experte für Film und Fernsehen, fügt ergänzend hinzu, was ganz klar vor sechsunddreißig Jahren wie auch 2012 zentrale Sache war: Es sei ein Film, der „einen Blick in die Abgründe menschlichen Seins “ werfe. Korrekt soweit. Im „Lexikon des Internationalen Films“ kommt Lustigs Original trotzdem nur arg unfreundlich weg:
„Grusel- und Gewaltprodukt primitiven Zuschnitts, das vorwiegend auf Ekel setzt.“
Der amerikanische Fernsehmoderator Gene Siskel (1946 – 1999), der als einer der angesehensten Filmkritiker der 1980er-/-90er gegolten hat, bekundete in seiner Sendung Sneak Previews, so entsetzt und angewidert vonManiac gewesen zu sein, dass er vorzeitig den Vorführraum verlassen musste. Gut, das war eine recht deutliche Reaktion, vielleicht zu krass, zu empfindlich zumindest aus heutiger Sicht, abgeklärter wurden wir alle, was den Würgereiz betrifft.
Zu abgeklärt für das krasse Remake von Maniac mit Sicherheit nicht. Es geht (auch) 2012 gut düster und vor allem großartig professionell ab. Alexandre Aja belegt nach „The Hills have Eyes“ (2006), seiner perfekt konstruierten Mischung aus Wes-Craven-Hommage und Eins-A-Qualität (Original: 1977), dass er dem großen Vorbild stets Respekt zollt. Er geht den gleichen Weg bis tief unter die Haut. Das ist Klasse. Und stößt im „Lexikon des Internationalen Films“ erneut auf Missfallen.
„Der Film hält sich weitgehend an die Handlung des Originals, inszeniert sie jedoch anders: Er nimmt weitgehend den Blickwinkel des Täters ein, was überdeutliche Gewaltszenen nach sich zieht, dem beabsichtigten Psychogramm eines Wahnsinnigen aber im Wege steht. Ein über die Maßen brutaler, lediglich dem Gore-Effekt verpflichteter Abklatsch.“
Fies genörgelt, unfair in die Ecke gestellt. Elijah Wood kommt dem Wahnsinn in etwa so genial nahe wie ein Anthony Perkins bei Hitchcock, sein psychotisches Brüten erwischt den Zuschauer eisig. Wood ist ernst, kalt, grüblerisch, unsicher und dann doch sehr direkt.
Joe Spinell in Maniac
Joe Spinell in Maniac
Optisch ist er ein gänzlich anderer Typ als Joe Spinell (1936 – 1989), der den Frank Zito in der Verfilmung von 1980 spielt. (Spinell, auch als Zeichner bekannt geworden, arbeitete damals am Drehbuch mit.) Der italienischstämmige Schauspieler sah aus wie der Kerl von einem Mann, dessen Unmut man ungern kennenlernen will, und damit war er prädestiniert für Böse-Jungs-Rollen (Der Pate, Taxi-Driver, Nightshift…).
Ergo wirkte Spinell natürlich schon auf den ersten Blick markanter, bedrohlicher als der 1,68-cm-kleine Wood, mit seinen babyblauen Augen, der schon als Kind so ein „liebes Energiebündel“ (Woods Mutter Deborah) war. Dem man „unseren Frodo“ bedingungslos abnimmt. Den man, wenn man ihn beguckt, so herzlich drücken möchte.
Wenn er nicht grad einen verrückten Serienkiller gibt. Und das kann er zweifellos. Wood, artig im Auenland und so gar nicht braver Junge sonstwo da draußen, ist wandlungsfähig, das beweist er als der aus der Linie geratene Student Matt Buckner in Hooligans (2006), als Doktorand Martin auf Mördersuche in Oxford Murders (2008). Das beweist er auch (wohl noch) als Produzent: 2010 gründete Elijah Wood gemeinsam mit zwei Freunden die Horrorfilm-Firma The Woodshed , später in Spectre Vision umgetauft. Bis dato wurden vier verschiedene Filme gedreht, in Open Windows (2014) und Cooties (2015) spielte Wood jeweils die Hauptrolle.
Und er beweist es einmal mehr und durchaus schwer beeindruckend als Frank Zito.
Zito in Maniac ist ein Sonderling mit schrecklichen und zugleich traurigen Kindheitserinnerungen, geprägt vor allem durch seine Mutter, einer Prostituierten. Zu den Schaufensterpuppen, die restauriert, hat er ein krankhaft inniges Verhältnis. Nachts lauert Zito, von Unruhe getrieben, Frauen auf, skalpiert sie und schmückt mit den blutigen Haar-Trophäen seine Puppen. Dann verliebt er sich in die Fotografin Anna, und vorübergehend scheint sein Wahn irgendwie kontrolliert zu sein.
Klare Fehlprognose. Frank verliert die Nerven, halluziniert, mordet wieder.Im Original von 1980 überlebt Anna, im Remake findet auch sie, nachdem sie sein entsetzliches Geheimnis entdeckt hat, einen grausamen Tod. Im Kampf kann sie ihn zwar schwer verwunden, aber er skalpiert sie bei vollem Bewusstsein und schleppt sich allein zurück in seine Wohnung.
Dort hat er die Vision, dass seine Schaufensterpuppen lebendig werden und die Gestalt der jeweiligen Opfer annehmen, deren Haare sie tragen. Anna erscheint im Brautkleid. Sie stürzen sich auf Frank und zerreißen ihn. Eine Spezialsondereinheit findet ihn am nächsten Morgen tot vor.
Im Original liegt er mit einem Dolch im Bauch auf dem Bett. Nachdem die hier von Anna gerufenen Polizisten sich von ihm abgewandt haben, öffnet er die Augen.
Zweifellos ist der blutige Power-Schluß mit schwerstem Psycho-Touch in beiden Versionen Horror pur im perfekten Bild. CINEMA FOREVER schreibt dazu:
„Das Ende ist dann noch der ganz besondere Paukenschlag und von einer so intensiven Symbolik signiert, dass dem Zuschauer ein kalter Schauer über den Rücken läuft, denn es bleibt ein Trugschluss: Humanität wird zur statischen Fassade, alles Illusionäre greift ein und lässt die beiden Ebenen miteinander verschmelzen. Es gibt nur Einsamkeit, Tod und den stummen Schrei nach Liebe.“
Alles wird gut!
Alles wird gut!

So sei es hier. Für Wood gilt mehr. Zur glücksbringenden Sicherheit hat der sich zur Erinnerung an den Herrn der Ringe eine Tätowierung auf die rechte Taille stechen lassen, das Wort Neun in Elbischer Sprache. Passt so gar nicht zu einem psychopathischen Serienkiller. Ist auch besser so.
Frodo Forever. Eben.
copyright by Karin Reddemann
erschienen unter www.phantastikon.de

Mittwoch, 27. Januar 2016

Gilles de Rais

Fünfzehntes Jahrhundert. Finsternis. Der Serienkiller Gilles de Rais mochte kleine Jungs. Er ließ sie leiden, das war sein Vergnügen, tötete sie, ergötzte sich an nekrophilen Spielchen. Dann warf er sie weg.
gilleszechOder er ließ, nachdem er sie vergewaltigt, abgestochen, aufgeschlitzt, ausgenommen und verstümmelt hatte, ihre abgeschlagenen Köpfe schminken und aufspießen, um sich den schönsten auszusuchen.
Er war ein ekelhafter Perverser. Ein grausamer Psychopath mit einer kranken Lust, die gestern, heute, morgen, immer wieder Thema einer Zeit war und ist und sein wird. Der französische Romancier und Essayist George Bataille (1897 – 1962) sagt in „Leben und Prozeß eines Kindermörders“ (Gilles de Reis):
„Was uns an der Persönlichkeit des Gilles de Rais interessiert, ist … unsere eigene Bindung an das Monströse, das dem Menschen wie ein Alp von früher Kindheit an innewohnt.“
Zweifellos wurde das vor allem von den romantischen Autoren des 19. Jahrhunderts gern verdrängt. Gilles de Rais (1404 – 1440) erhielt auf dem Papier als düstere Heldengestalt mit zwar finsteren Abgründen, gleichwohl aber mit viel Courage und Herz ein neues Leben. Ein verklärtes. Nicht schöner, aber eben auch nicht furchtbarer als beispielsweise das des legendären Ritters Blaubart, der tollkühn und stark war und (Gedankenpause) Frauen ermordete.
Denn ein großer Ritter war Baron Gilles de Rais eben auch. Ein französischer Marschall. Ein Ruhmreicher des 100jährigen Krieges. Ein Mann mit altem blauen Blut. Ein Mann, der sich in Kinderblut suhlte.
Er steht in den Geschichtsbüchern. Er kämpfte als „braver und kühner Hauptmann und Gefährte“, wie es in den Chroniken heißt, mit Jean D’Arc (1412 – 1431) gegen England und für seinen Glauben. Im französischen Historienfilm „Johanna von Orleans“ (1999, Regie: Luc Besson) reitet der Schauspieler Vincent Cassel als schmucker, starker Marschall Gill de Rais unterstützend an ihrer Seite. Als Freund.
Vincent Cassel als Gilles de Rais in "Johanna von Orleans"
Vincent Cassel als Gilles de Rais in „Johanna von Orleans“
Als Bestie steht Gilles de Rais in den mittelalterlichen Gerichtsakten. Der Sire hat unzählige Kinder und Jugendliche „geraubt und rauben lassen, geschändet und schänden lassen, getötet und töten lassen.“ Nachweisen konnte man ihm letztendlich 140 Morde, Schätzungen zufolge waren es weit mehr als 400.
Der Angeklagte hatte sich das„peinliche Verhör“ (Folter) selbst durch sein Geständnis erspart, ging freilich ehrlos in den Tod, weil man ihn hängte. Der Galgen stand bei verurteilten Adeligen für absolute Schande. Das Gericht in seiner Urteilsbegründung:
„Er hat in abscheulicher Weise unschuldige junge Knaben erwürgt, getötet und massakriert. Er hat sich an diesen Kindern auf widernatürliche Art vergangen und das Laster der Sodomie betrieben. Er hat sich schrecklicher Teufelsbeschwörungen schuldig gemacht und den Dämonen geopfert.“
Der vermögende Baron, reich geboren, vom Luxus verwöhnt und mit dem Schwert groß geworden, war bereits 1425 eine geachtete Persönlichkeit am Hofe Karls VII.. Er unterstützte den französischen König mit Geld und Truppen gegen die Engländer, die er nach einem Sieg mit Vorliebe allesamt hängen ließ. Der Monarch lobte und hofierte seinen Recken, unterstütze ihn aber nicht, als Jean D’Arc gefangen genommen wurde.
Jeanne d'Arc
Jeanne d’Arc
De Rais wollte sie befreien, der König sperrte sich. Nach der Hinrichtung der späteren Nationalheldin Frankreichs, – sie starb 1431 als Neunzehnjährige auf dem Scheiterhaufen in Rouen-, war das Verhältnis gänzlich abgekühlt. Und Gilles de Rais ging jetzt ausschließlich seinen Interessen nach: Raub. Vergewaltigung. Folter. Mord. Okkultismus. Und, – tatsächlich -, immer noch starke Gottesfurcht.
1435, in der Hochphase seiner sadistischen Morde, stiftete er eine mit allem erdenklichen Pomp ausgestattete Kirche in Machecoul „zum Gedenken an die unschuldigen Kinder von Bethlehem“. Eine Heerschar von Geistlichen war dort beschäftigt, zusätzlich hatte viele Handwerker aus der Umgebung durch den Bau Arbeit gefunden.
Und auch, wenn die Gerüchteküche brodelte, weil so viele Kinder und Jugendliche verschwanden, nie wieder gesehen und dort vermutet wurden, wo der Baron sein entsetzliches Privatleben führte, so zögerte und schwieg man anfangs nur. De Rais war großzügig, feierte und trank mit Untergebenen, gab sich grundsätzlich volksnah und Gott treu ergeben. Er war ein Herr. Ein guter Christ. Fürwahr.
Der französische Autor Joris-Karl Huysmans (1848 – 1907) über Gilles de Rais in seinem Roman Làbas (Tief unten):
„Ganz gewiß ist der Marquis de Sade nichts als ein schüchterner Bürger, ein ärmlicher Phantast neben ihm.“
Opfern riss er Herz und Augen heraus und nahm das Blut als Tinte für okkultistische Texte. So erinnerte sich einer seiner vielen Getreuen, die er damit beauftragte, für ihn Kinder aus der Umgebung zu entführen. Spezielle Kumpanen des Barons beließen es nicht nur dabei, auf Wunsch machten sie mit, betrunken vom Wein, schnitten Kehlen durch, Bäuche auf, hakten Gliedmaßen ab. Diener verbrannten später die Leichen im Kamin.
Natürlich wurden Kinder vermisst. Man ahnte. Man munkelte. Man hatte Angst vor den „Herren“. Angst davor, ohne Gunst zu sein. Und schwieg.
Unzählige Knaben, beim Viehhüten, Betteln, auf den Märkten, auch in den Häusern heraus gepickt, verschwanden spurlos, wenn der junge Baron, für Verschwendung, Prachtsucht und Gönnerhaftigkeit bekannt, seine Festung verließ und auf Reisen ging, ausgestattet mit Luxus pur, begleitet von Reitern, Pagen, Hexenmeistern, Alchimisten und einem Chor von Sängerknaben. Sogar eine Orgel wurde mitgenommen, denn Gilles de Rais liebte Kirchengesänge „bis zum Wahnsinn“.
1440 drang Gilles de Rais, dessen eigenes Vermögen schwand, während seine Raubritterzüge zunahmen, mit seinen bewaffneten Männern in die Kapelle von Schloß Saint-Etienne-de-Mermorte, ein, nahm einen Geistlichen gefangen und verspottete die kirchliche Autorität. Das nun durfte nicht geduldet werden, die Gerichtsbarkeit wurde wach, ermittelte gegen ihn und fand in seiner Festung vor, was längst hinter vorgehaltener Hand ausgesprochen worden war: Skelette, Leichenteile, Wäschestücke, menschliche Asche.
Grotesk fast: Die Hausdurchsuchung, der anschließende Prozess und die Hinrichtung des Adeligen hätten vermutlich niemals stattgefunden, wenn Gilles de Rais nicht aus Trotz und Übermut den Pfarrer bei seiner Pfingstmesse überfallen hätte.
„Diese absurde Geschichte hatte eine Justiz in Bewegung gesetzt, die sich wegen der kleinen Hungerleider, die ein so hoher Herr ermordete, nicht sonderlich erregt hätte.“ (Bataille)
Das klingt hart, aber das 15. Jahrhundert war eine Zeit, in der die Mächtigen, so  Joris-Karl Huysmans , allesamt „fürchterliche Menschenfresser“ waren. Und in dieser Zeit, gezeichnet von Krieg, mittellosen Flüchtlingen und plündernden, mordenden Söldnerbanden , zählten die Arme-Leute-Kinder eh herzlich wenig.
Trotzdem war der Fall Gilles de Rais auch für das hart geprägte Mittelalter beinahe beispiellos. Der Bielefelder Historiker Peter Schuster:
„Es gibt derartige Taten, also sodomitische Übergriffe gegen Kinder oder auch brutale Morde an Kindern, aber nicht in dieser Häufigkeit und in diesem Umfang, wie es Gilles de Rais nachgesagt wird.“

Seine Biographen, so Huysmans, „fallen von einem Staunen ins andere vor diesem geistigen Hexenspuk“. Das sagte er vor hundertdreißig Jahren.
Man staunt nicht nur. Man schaudert. Spuk ist etwas anderes.
copyright by Karin Reddemann
erschienen unter www.phantastikon.de

Soylent Green für Menschenfleisch

Soylent Green für Menschenfleisch

Das Hauptnahrungsmittel der zukünftigen Normalbevölkerung ist eine Mogelpackung. Darauf steht Plankton, darin ist Menschenfleisch.
Angerichtet
Angerichtet
So läuft das in in Soylent Green, und damit wäre Wesentliches gesagt für diejenigen, die diesen Film nicht kennen und auch nicht gedenken, ihn sich anzuschauen. Die Aufklärung erfolgt (natürlich) zum Schluss. Bis dahin wird geguckt, gefiebert, mit gelitten. So soll das auch sein.
Es gibt etliche Filme, die so wahnsinnig gut verblüffend enden, dass man sich ärgert, sie schon gesehen zu haben. Wäre doch großartig, man würde inThe Sixth Sense den kleinen Cole zum ersten Mal „Ich sehe tote Menschen“ flüstern hören. Ohne zu wissen, warum Bruce Willis die ganze Zeit so verdammt einsam ist. Norman Bates könnte sich in Psycho noch einmal die Perücke aufsetzen, und wir würden vor Schreck das Popcorn fallen lassen wie unsere Mütter, Väter, Großeltern. Sie im Petticoat, er mit Haartolle, schwer verliebt und völlig erstarrt.
Nicole Kidman würde uns in The Others erst in der Endphase mit ihren Alabaster-Händen packen und auf die Schattenseite ziehen, und Saw könnte uns immer noch eisig erwischen. Leonardo Di Caprio wäre in Shutter Islandein grundsätzlich normaler Cop, der zwar die (Psycho)-Hölle erlebt, aber eben nicht längst schon in Flammen steht.
Und Charlton Heston würde in Soylent Green einem ungeheuren Skandal auf der Spur sein, den er eventuell wohl noch, doch, vielleicht in den Griff bekommen könnte. Das bleibt letztendlich freilich mehr als zweifelhaft.
Die genannten Filme stehen ganz oben auf der langen Liste der clever durchdachten Geschichten aus dem Horror-Genre, die einfach nur staunen lassen, wenn sie sich dem Ende nähern. Manchmal ahnt, tippt, kombiniert man zwar was, garantiert ist aber, dass man in den letzten Momenten noch mal so richtig wach wird. Es kommt hart, spannend, aberwitzig, heiß, kalt oder, – schade dann -, lauwarm. Und mitunter kommt es richtig böse und zieht einen runter. Dorthin, wo es düster aussieht, wo die Hoffnung am Galgen hängt und der Blick nach vorn schlechte Laune macht.
Exakt so geschieht’s in dem US-amerikanischen Film Soylent Green (Regie: Richard Fleischer) aus dem Jahr 1973, der in den deutschen Kinos unter dem Titel „Jahr 2022 – die überleben wollen“ lief.
Soylent Green ist eine kannibalistische Schockvision für eine mit völliger Überbevölkerung, Klimakatastrophe und absolutem Rohstoffmangel konfrontierte Menschheit. Nur für die wenigen Reichen sind Obst, Gemüse, Eier und Fleisch erschwinglich, die Masse wächst mit bunt gefärbten Ersatznahrungsmitteln auf. Und die grünen werden in den Leichenhallen „ausgespuckt“.
Der mit dem Saturn Award und dem Grand Prix des Festival International du Film Fantastique d’Avoriaz ausgezeichnete Film gilt als eine der frühesten Ökodystopien, die zeigen, was passiert, wenn Profitgier die Natur ermordet. So ausgedrückt:
„Wer möchte, der kann in diesem Film einen spannenden Krimi sehen. Mittels brutal-nachhallender Szenen verdeutlicht der Regisseur jedoch eine weitaus tiefere Wahrheit […] Soylent-Green muss also als eine Metapher gefasst werden. Es ist das radikale Bild des sich selbst verzehrenden Wahnsinns kapitalistischer Produktionsweise. Die notwendigen Folgen der Verdinglichung von ‚Menschenmaterial‘ bis hin zur Selbst-Vernichtung werden dem Zuschauer eindrücklich vor Augen geführt.“(Lexikon der britischen und amerikanischen Spielfilme in den Fernsehprogrammen der Bundesrepublik Deutschland 1954 bis 1985)
Hunger
Hunger
Hollywood-Legende Charleton Heston ( 1923- 2008) spielt DetectiveRobert Thorn, der gemeinsam mit Ex-Lehrer Sol Roth (Edward G. Robinson, 1893-1973) in einer lausigen Wohnung in New York lebt. Die Stadt zählt 40 Millionen Einwohner, mehr als die Hälfte ist arbeits- und obdachlos, die Menschen ohne Dach über dem Kopf kampieren auf den Straßen.
Roth, der in einer Mordsache ermittelt, – ein Industrieller wurde getötet, das zählt -, schleicht sich in die Fabrik ein, in der die neue Powerkost Soylent Green hergestellt wird, die überall gegessen wird. Diese soll aus Plankton sein, eine dicke Lüge, denn die Weltmeere sind leer. Als Roth heimlich dem Leichentransport seines Freundes folgt, – Sol hat sich völlig resigniert das Leben genommen -, sieht er, was mit den Toten tatsächlich geschieht: Maschinen verarbeiten sie zu (angeblich) vitaminreichen Snacks.
Soylent Green ist Menschenfleisch.
Im Buch nicht.
Der Film basiert auf dem 1966 erschienenen Roman „New York 1999“ von Harry Harrison, in dessen Vordergrund die Kluft zwischen Reich und Arm, Recht und Unrecht steht. Massenversorgung der mittellosen Bevölkerung mit menschlichem Fleisch, wenn auch ordentlich verpackt, kommt nicht vor.
Ergo war Harrison auch nicht sehr glücklich mit Fleischers Regiearbeit, die er zu trivial und reisserisch, eben „boulevardisierend“ (sein Wort dazu) fand. Seine Intention, die Perversität der Bonzen anzuprangern, kam ihm zu schwach zur Sprache. Zuviel Skepsis. Die steckt (auch) drin. Irgendwie auf jeden Fall.
Anspielungen auf die grünen Lebensmittel mit dem widerlichen Hauptbestandteil gibt es in zahlreichen Filmen und Fernsehserien (Futurama, Die Simpsons..), Computerspielen (Command & Conquer) und in der Popmusik: Der Track Soylent Green der 1980 gegründeten Berliner Punk-Band „Soilent Grün“ (ein Vorreiter der Ärzte) wurde 1993 zu einem Hit der Schwarzen Szene. Es gibt sogar grüne Cracker unter dem Namen, Vertrieb Parallax Corporation; und der amerikanische Softwaredesigner Rob Rhinehart brachte Anfang 2014 das Nahrungspulver „Soylent“ auf den Markt.
Soylent Green in aller Munde. Und immer im Blick. Trocken formuliert:
„Übrigens bleibt uns bald vor lauter Überbevölkerung und Umweltzerstörung nichts anderes übrig, als uns gegenseitig aufzufressen.“ (Tagesspiegel, Januar 2000, Georg Seesslen)
Böse aber auch.
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Mittwoch, 13. Januar 2016

Ted Bundy

Er war einer von den smarten Kerlen, die Mütter gern als Schwiegersöhne hätten. Charmant, gebildet, höflich, attraktiv zudem. So ausgesprochen klingt das nach Bilderbuchmann. Klingt aber mehr nach krassester Gänsehaut, wenn man den Namen raunt.
bundy313Ted Bundy: Einer der gefährlichsten, kältesten und grausamsten Serienkiller in der amerikanischen Geschichte. Einer, dem für offiziell von ihm gestandene 33, schätzungsweise aber 60, vielleicht auch für 100 begangene Frauenmorde im Florida State Prison am 24. Januar 1989 im Morgengrauen 2300 Volt durch den Körper gejagt wurden. Mit seinem Tod auf dem elektrischen Stuhl endete eine Serie an perversen Gewalttaten, die eine Blutspur durch sieben US-Bundesstaaten hinterließ, deren unverwechselbarer Gestank nach Entsetzen, Angst und Schmerz bis heute die Luft verpestet.
Seine letzten Worte vor der Hinrichtung waren ein Gruß mit seiner unverwechselbar sanften Stimme an „meine Familie und Freunde“.
Der freilich blieb weniger in der Erinnerung haften als seine Überzeugung.
„Ich war nicht pervers.“
Und letztendlich sein Jammern.
„Ich will nicht sterben.“
Ted Bundy, dieser kluge, so selbstsicher auftretende Beau, wäre für seine Greueltaten gern mit dem Prädikat Unzurechnungsfähig davon gekommen. Ein letzter Versuch seiner Anwältin Polly Nelson, die darauf plädierte, dass er psychisch krank und nicht verantwortlich sei, um Bundy vor dem von ihm mit Furcht und gleichsam mit Unverständnis erwarteten Urteil zu bewahren. Das war 1979, ein Jahr nach seinem letzten Mord in Florida, wo man ihn nach einer beispiellosen Jagd über den gesamten nordamerikanischen Kontinent endlich verhaftete. Da war er dreiunddreißig.
Bundy landete 1980 wegen dreifach erwiesenen Morde im Todestrakt, und erst am Tag vor seiner Hinrichtung gestand er immerhin weitere 30 Morde, schilderte sogar, wie er einigen der Frauen posthum den Kopf abgetrennt habe, um diesen eine Weile in seiner Wohnung als Souvenir aufzubewahren. Bundy, dreimal zum Tode verurteilt, wartete neun Jahre auf die Vollstreckung, von den Anwälten verzögert für irgendeine groteske Gnade.
Vorausgegangen war eine von Kaltschnäuzigkeit blutgetränkte Odyssee eines Mannes, der seit 1973 mordete, verhaftet und aus Mangel an Beweisen wieder laufen gelassen wurde, der mordete, wieder geschnappt wurde, floh, weiter mordete, Bundesländer durchquerte, mordete, bis er 1978 endgültig gefasst wurde.
Mark Harmon
Mark Harmon
Der Fall bot bis dahin schon genügend Material für Titelseiten, TV-Sendungen, Bücher Doktorarbeiten und, drei Jahre vor der Hinrichtung, gut Stoff für eine sehr wohl beachtenswerte Film-Produktion (The Deliberated Stranger – Alptraum des Grauens, Regie: Marvin J. Chomsky) mit dem „Sexiest Man Alive“ (People Magazine 1986), Mark Harmon, in der Rolle des Killers. Der Film, ein zweiteiliges Drama, basiert auf dem gleichnamigen Buch des Seattle Times-Reporters Richard W. Larsen, der Ted Bundy interviewt hatte.
Während der Flucht und Fahndung setzte das FBI  ein Kopfgeld von 100.000 Dollar auf ihn an. Und warnte die weibliche Bevölkerung eindringlich, auf der Hut zu sein vor diesem so gefährlichen Mann mit dieser so großen Anziehungskraft.
Bundy flirtete. Darin war er erfolgreich, er war ein Frauentyp. Frühere Bekanntschaften von ihm erinnerten sich an seine ungewöhnliche Ausstrahlung, seine jungenhaft kokette Art.
Dass er zugleich ein Mistkerl war, bestätigten Ex-Freundinnen wie Ann Rule im Nachhinein:
„Ein sadistischer Soziopath, der das Leid eines anderen Menschen genoss.“
Dass diese sadistische Neigung eines selbstverliebten Psychos sich in Massenmorden entladen würde, hat allerdings hat wohl keine seiner Verflossenen auch nur in ihren schlimmsten Visionen geahnt.
Bis auf Elizabeth Kloepfer, eine frühere Geliebte, bei der nach den ersten Leichenfunden in Seattle ein Phantombild und die Suche nach einem VW-Käfer, den ihr alter Freund Bundy fuhr, die Alarmglocken läuteten. Sie informierte die Polizei, Ted wurde auf die Liste der Verdächtigen gesetzt. Das war 1975. Und das war es vorerst. Sein bestialisches Spiel ging, nachdem Bundy Seattle, wo er Jura studiert hatte, nicht nur weiter. Es wurde extremer.
Seine ersten etlichen Opfer, langhaarige junge Frauen, oft Studentinnen, verschleppte, folterte, vergewaltigte und tötete er, indem er sie erschlug oder erstach, anschließend verstümmelte oder „nur“ verscharrte, ohne sich an den Leichen nochmals sexuell zu befriedigen. In Utah und den angrenzenden Staaten Idaho und Colorado, wo Bundy sich nach Seattle aufhielt, verschwanden erneut immer wieder Frauen. Es boten sich Schreckensbilder. Ihre toten Körper waren entstellt, geschändet, von Bisswunden versehrt, einige der Opfer schienen nachträglich geschminkt worden zu sein.
Bundys letzte Anwältin Polly Nelson, die den Killer vergeblich für unzurechnungsfähig erklären lassen wollte, erklärte sehr viel später:
„Ted war die Verkörperung des herzlosen Bösen.“
Ob sie das von Anfang an so gesehen hat oder es im Nachhinein so sehen wollte, bleibt fragwürdig. Bundy war in der Lage, trotz allem, was die Vernunft strikt dagegen sprechen lässt, Menschen für sich zu gewinnen und zu beeinflussen. Prozessbeobachter zeigten durchaus Respekt vor seinem beeindruckenden Auftreten und seiner Intelligenz.
Prozess in Miami
Prozess in Miami
Für etliche Frauen im Gerichtssaal, die zu den Verhandlungsterminen kamen und ihm ins Gefängnis schrieben, ihn dort auch besuchten, war Bundy primär keineswegs der perverse Triebtäter, sondern der gutaussehende, sensible, so sympathisch auftretende Mann, dem irgendwie großes Unrecht widerfuhr. Einige himmelten ihn geradezu an, vielleicht in der Überzeugung, mit einer von ihnen an seiner Seite wäre er der bessere Mensch geworden. Oder könnte es noch werden.
Der Verwaltungsangestellten Carol Ann Boone machte Bundy, nachdem sie in den Zeugenstand gerufen wurde, einen Heiratsantrag. Die schwer verliebte Carol wurde Mutter, als Bundy bereits im Todestrakt saß. Ob es Bundys Tochter ist, – sie wäre jetzt 34 -, wurde nie wirklich bestätigt, offiziell zumindest waren sexuelle Kontakte während der Besuchszeit für ihn streng verboten. Mittel und Wege gab und gibt es aber immer, auch Bestechung wäre drin gewesen.
Der TV-Prediger James Dobson interviewte Bundy in seiner Todeszelle vor laufenden Kameras am 23. Januar 1989, einen Tag vor der Hinrichtung. Der zeigte sich gesprächig, erzählte von seiner Familie, seinem Studium, von seiner Lust an Pornografie und von den toten Frauen. Und lächelnd beschrieb er sich selbst:
„Ich war eigentlich eine normale Person. Ich führte ein normales Leben. Bis auf diesen kleinen, doch sehr machtvollen und destruktiven Bestandteil, den ich vor allen geheim hielt.“ (Ted Bundy)

bundymalfies1988 nahm Krimiautor Thomas Harris ihn in seinem Psychothriller Das Schweigen der Lämmer (Film: 1991) als Vorlage für den Killer „Buffalo Bill“. 2002 wurde die Geschichte des schönsten Bösen Amerikas nach der Verfilmung von 1988 mit Michael Reilly Burke als Bundy (Titel schlicht: Ted Bundy, Regie: Matthew Bright) ) nochmals auf die Leinwand gebracht, ein drittes Mal dann 2008 mit Corin Nemec (Bundy: An American Icon, Regie: Michael Feifer) in der Rolle des Mörders.
In der Popkultur wird Ted Bundy, dessen Asche in den Bergen der Kaskadenkette im US-Bundesstaat Washington liegt, als Ikone des Wahnsinns dargestellt. Diese Frage der Ehre teilt er sich mit Charles Manson & Co.

copyright by Karin Reddemann
erschienen unter www.phantastikon.de