Mittwoch, 27. Januar 2016

Gilles de Rais

Fünfzehntes Jahrhundert. Finsternis. Der Serienkiller Gilles de Rais mochte kleine Jungs. Er ließ sie leiden, das war sein Vergnügen, tötete sie, ergötzte sich an nekrophilen Spielchen. Dann warf er sie weg.
gilleszechOder er ließ, nachdem er sie vergewaltigt, abgestochen, aufgeschlitzt, ausgenommen und verstümmelt hatte, ihre abgeschlagenen Köpfe schminken und aufspießen, um sich den schönsten auszusuchen.
Er war ein ekelhafter Perverser. Ein grausamer Psychopath mit einer kranken Lust, die gestern, heute, morgen, immer wieder Thema einer Zeit war und ist und sein wird. Der französische Romancier und Essayist George Bataille (1897 – 1962) sagt in „Leben und Prozeß eines Kindermörders“ (Gilles de Reis):
„Was uns an der Persönlichkeit des Gilles de Rais interessiert, ist … unsere eigene Bindung an das Monströse, das dem Menschen wie ein Alp von früher Kindheit an innewohnt.“
Zweifellos wurde das vor allem von den romantischen Autoren des 19. Jahrhunderts gern verdrängt. Gilles de Rais (1404 – 1440) erhielt auf dem Papier als düstere Heldengestalt mit zwar finsteren Abgründen, gleichwohl aber mit viel Courage und Herz ein neues Leben. Ein verklärtes. Nicht schöner, aber eben auch nicht furchtbarer als beispielsweise das des legendären Ritters Blaubart, der tollkühn und stark war und (Gedankenpause) Frauen ermordete.
Denn ein großer Ritter war Baron Gilles de Rais eben auch. Ein französischer Marschall. Ein Ruhmreicher des 100jährigen Krieges. Ein Mann mit altem blauen Blut. Ein Mann, der sich in Kinderblut suhlte.
Er steht in den Geschichtsbüchern. Er kämpfte als „braver und kühner Hauptmann und Gefährte“, wie es in den Chroniken heißt, mit Jean D’Arc (1412 – 1431) gegen England und für seinen Glauben. Im französischen Historienfilm „Johanna von Orleans“ (1999, Regie: Luc Besson) reitet der Schauspieler Vincent Cassel als schmucker, starker Marschall Gill de Rais unterstützend an ihrer Seite. Als Freund.
Vincent Cassel als Gilles de Rais in "Johanna von Orleans"
Vincent Cassel als Gilles de Rais in „Johanna von Orleans“
Als Bestie steht Gilles de Rais in den mittelalterlichen Gerichtsakten. Der Sire hat unzählige Kinder und Jugendliche „geraubt und rauben lassen, geschändet und schänden lassen, getötet und töten lassen.“ Nachweisen konnte man ihm letztendlich 140 Morde, Schätzungen zufolge waren es weit mehr als 400.
Der Angeklagte hatte sich das„peinliche Verhör“ (Folter) selbst durch sein Geständnis erspart, ging freilich ehrlos in den Tod, weil man ihn hängte. Der Galgen stand bei verurteilten Adeligen für absolute Schande. Das Gericht in seiner Urteilsbegründung:
„Er hat in abscheulicher Weise unschuldige junge Knaben erwürgt, getötet und massakriert. Er hat sich an diesen Kindern auf widernatürliche Art vergangen und das Laster der Sodomie betrieben. Er hat sich schrecklicher Teufelsbeschwörungen schuldig gemacht und den Dämonen geopfert.“
Der vermögende Baron, reich geboren, vom Luxus verwöhnt und mit dem Schwert groß geworden, war bereits 1425 eine geachtete Persönlichkeit am Hofe Karls VII.. Er unterstützte den französischen König mit Geld und Truppen gegen die Engländer, die er nach einem Sieg mit Vorliebe allesamt hängen ließ. Der Monarch lobte und hofierte seinen Recken, unterstütze ihn aber nicht, als Jean D’Arc gefangen genommen wurde.
Jeanne d'Arc
Jeanne d’Arc
De Rais wollte sie befreien, der König sperrte sich. Nach der Hinrichtung der späteren Nationalheldin Frankreichs, – sie starb 1431 als Neunzehnjährige auf dem Scheiterhaufen in Rouen-, war das Verhältnis gänzlich abgekühlt. Und Gilles de Rais ging jetzt ausschließlich seinen Interessen nach: Raub. Vergewaltigung. Folter. Mord. Okkultismus. Und, – tatsächlich -, immer noch starke Gottesfurcht.
1435, in der Hochphase seiner sadistischen Morde, stiftete er eine mit allem erdenklichen Pomp ausgestattete Kirche in Machecoul „zum Gedenken an die unschuldigen Kinder von Bethlehem“. Eine Heerschar von Geistlichen war dort beschäftigt, zusätzlich hatte viele Handwerker aus der Umgebung durch den Bau Arbeit gefunden.
Und auch, wenn die Gerüchteküche brodelte, weil so viele Kinder und Jugendliche verschwanden, nie wieder gesehen und dort vermutet wurden, wo der Baron sein entsetzliches Privatleben führte, so zögerte und schwieg man anfangs nur. De Rais war großzügig, feierte und trank mit Untergebenen, gab sich grundsätzlich volksnah und Gott treu ergeben. Er war ein Herr. Ein guter Christ. Fürwahr.
Der französische Autor Joris-Karl Huysmans (1848 – 1907) über Gilles de Rais in seinem Roman Làbas (Tief unten):
„Ganz gewiß ist der Marquis de Sade nichts als ein schüchterner Bürger, ein ärmlicher Phantast neben ihm.“
Opfern riss er Herz und Augen heraus und nahm das Blut als Tinte für okkultistische Texte. So erinnerte sich einer seiner vielen Getreuen, die er damit beauftragte, für ihn Kinder aus der Umgebung zu entführen. Spezielle Kumpanen des Barons beließen es nicht nur dabei, auf Wunsch machten sie mit, betrunken vom Wein, schnitten Kehlen durch, Bäuche auf, hakten Gliedmaßen ab. Diener verbrannten später die Leichen im Kamin.
Natürlich wurden Kinder vermisst. Man ahnte. Man munkelte. Man hatte Angst vor den „Herren“. Angst davor, ohne Gunst zu sein. Und schwieg.
Unzählige Knaben, beim Viehhüten, Betteln, auf den Märkten, auch in den Häusern heraus gepickt, verschwanden spurlos, wenn der junge Baron, für Verschwendung, Prachtsucht und Gönnerhaftigkeit bekannt, seine Festung verließ und auf Reisen ging, ausgestattet mit Luxus pur, begleitet von Reitern, Pagen, Hexenmeistern, Alchimisten und einem Chor von Sängerknaben. Sogar eine Orgel wurde mitgenommen, denn Gilles de Rais liebte Kirchengesänge „bis zum Wahnsinn“.
1440 drang Gilles de Rais, dessen eigenes Vermögen schwand, während seine Raubritterzüge zunahmen, mit seinen bewaffneten Männern in die Kapelle von Schloß Saint-Etienne-de-Mermorte, ein, nahm einen Geistlichen gefangen und verspottete die kirchliche Autorität. Das nun durfte nicht geduldet werden, die Gerichtsbarkeit wurde wach, ermittelte gegen ihn und fand in seiner Festung vor, was längst hinter vorgehaltener Hand ausgesprochen worden war: Skelette, Leichenteile, Wäschestücke, menschliche Asche.
Grotesk fast: Die Hausdurchsuchung, der anschließende Prozess und die Hinrichtung des Adeligen hätten vermutlich niemals stattgefunden, wenn Gilles de Rais nicht aus Trotz und Übermut den Pfarrer bei seiner Pfingstmesse überfallen hätte.
„Diese absurde Geschichte hatte eine Justiz in Bewegung gesetzt, die sich wegen der kleinen Hungerleider, die ein so hoher Herr ermordete, nicht sonderlich erregt hätte.“ (Bataille)
Das klingt hart, aber das 15. Jahrhundert war eine Zeit, in der die Mächtigen, so  Joris-Karl Huysmans , allesamt „fürchterliche Menschenfresser“ waren. Und in dieser Zeit, gezeichnet von Krieg, mittellosen Flüchtlingen und plündernden, mordenden Söldnerbanden , zählten die Arme-Leute-Kinder eh herzlich wenig.
Trotzdem war der Fall Gilles de Rais auch für das hart geprägte Mittelalter beinahe beispiellos. Der Bielefelder Historiker Peter Schuster:
„Es gibt derartige Taten, also sodomitische Übergriffe gegen Kinder oder auch brutale Morde an Kindern, aber nicht in dieser Häufigkeit und in diesem Umfang, wie es Gilles de Rais nachgesagt wird.“

Seine Biographen, so Huysmans, „fallen von einem Staunen ins andere vor diesem geistigen Hexenspuk“. Das sagte er vor hundertdreißig Jahren.
Man staunt nicht nur. Man schaudert. Spuk ist etwas anderes.
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erschienen unter www.phantastikon.de

Soylent Green für Menschenfleisch

Soylent Green für Menschenfleisch

Das Hauptnahrungsmittel der zukünftigen Normalbevölkerung ist eine Mogelpackung. Darauf steht Plankton, darin ist Menschenfleisch.
Angerichtet
Angerichtet
So läuft das in in Soylent Green, und damit wäre Wesentliches gesagt für diejenigen, die diesen Film nicht kennen und auch nicht gedenken, ihn sich anzuschauen. Die Aufklärung erfolgt (natürlich) zum Schluss. Bis dahin wird geguckt, gefiebert, mit gelitten. So soll das auch sein.
Es gibt etliche Filme, die so wahnsinnig gut verblüffend enden, dass man sich ärgert, sie schon gesehen zu haben. Wäre doch großartig, man würde inThe Sixth Sense den kleinen Cole zum ersten Mal „Ich sehe tote Menschen“ flüstern hören. Ohne zu wissen, warum Bruce Willis die ganze Zeit so verdammt einsam ist. Norman Bates könnte sich in Psycho noch einmal die Perücke aufsetzen, und wir würden vor Schreck das Popcorn fallen lassen wie unsere Mütter, Väter, Großeltern. Sie im Petticoat, er mit Haartolle, schwer verliebt und völlig erstarrt.
Nicole Kidman würde uns in The Others erst in der Endphase mit ihren Alabaster-Händen packen und auf die Schattenseite ziehen, und Saw könnte uns immer noch eisig erwischen. Leonardo Di Caprio wäre in Shutter Islandein grundsätzlich normaler Cop, der zwar die (Psycho)-Hölle erlebt, aber eben nicht längst schon in Flammen steht.
Und Charlton Heston würde in Soylent Green einem ungeheuren Skandal auf der Spur sein, den er eventuell wohl noch, doch, vielleicht in den Griff bekommen könnte. Das bleibt letztendlich freilich mehr als zweifelhaft.
Die genannten Filme stehen ganz oben auf der langen Liste der clever durchdachten Geschichten aus dem Horror-Genre, die einfach nur staunen lassen, wenn sie sich dem Ende nähern. Manchmal ahnt, tippt, kombiniert man zwar was, garantiert ist aber, dass man in den letzten Momenten noch mal so richtig wach wird. Es kommt hart, spannend, aberwitzig, heiß, kalt oder, – schade dann -, lauwarm. Und mitunter kommt es richtig böse und zieht einen runter. Dorthin, wo es düster aussieht, wo die Hoffnung am Galgen hängt und der Blick nach vorn schlechte Laune macht.
Exakt so geschieht’s in dem US-amerikanischen Film Soylent Green (Regie: Richard Fleischer) aus dem Jahr 1973, der in den deutschen Kinos unter dem Titel „Jahr 2022 – die überleben wollen“ lief.
Soylent Green ist eine kannibalistische Schockvision für eine mit völliger Überbevölkerung, Klimakatastrophe und absolutem Rohstoffmangel konfrontierte Menschheit. Nur für die wenigen Reichen sind Obst, Gemüse, Eier und Fleisch erschwinglich, die Masse wächst mit bunt gefärbten Ersatznahrungsmitteln auf. Und die grünen werden in den Leichenhallen „ausgespuckt“.
Der mit dem Saturn Award und dem Grand Prix des Festival International du Film Fantastique d’Avoriaz ausgezeichnete Film gilt als eine der frühesten Ökodystopien, die zeigen, was passiert, wenn Profitgier die Natur ermordet. So ausgedrückt:
„Wer möchte, der kann in diesem Film einen spannenden Krimi sehen. Mittels brutal-nachhallender Szenen verdeutlicht der Regisseur jedoch eine weitaus tiefere Wahrheit […] Soylent-Green muss also als eine Metapher gefasst werden. Es ist das radikale Bild des sich selbst verzehrenden Wahnsinns kapitalistischer Produktionsweise. Die notwendigen Folgen der Verdinglichung von ‚Menschenmaterial‘ bis hin zur Selbst-Vernichtung werden dem Zuschauer eindrücklich vor Augen geführt.“(Lexikon der britischen und amerikanischen Spielfilme in den Fernsehprogrammen der Bundesrepublik Deutschland 1954 bis 1985)
Hunger
Hunger
Hollywood-Legende Charleton Heston ( 1923- 2008) spielt DetectiveRobert Thorn, der gemeinsam mit Ex-Lehrer Sol Roth (Edward G. Robinson, 1893-1973) in einer lausigen Wohnung in New York lebt. Die Stadt zählt 40 Millionen Einwohner, mehr als die Hälfte ist arbeits- und obdachlos, die Menschen ohne Dach über dem Kopf kampieren auf den Straßen.
Roth, der in einer Mordsache ermittelt, – ein Industrieller wurde getötet, das zählt -, schleicht sich in die Fabrik ein, in der die neue Powerkost Soylent Green hergestellt wird, die überall gegessen wird. Diese soll aus Plankton sein, eine dicke Lüge, denn die Weltmeere sind leer. Als Roth heimlich dem Leichentransport seines Freundes folgt, – Sol hat sich völlig resigniert das Leben genommen -, sieht er, was mit den Toten tatsächlich geschieht: Maschinen verarbeiten sie zu (angeblich) vitaminreichen Snacks.
Soylent Green ist Menschenfleisch.
Im Buch nicht.
Der Film basiert auf dem 1966 erschienenen Roman „New York 1999“ von Harry Harrison, in dessen Vordergrund die Kluft zwischen Reich und Arm, Recht und Unrecht steht. Massenversorgung der mittellosen Bevölkerung mit menschlichem Fleisch, wenn auch ordentlich verpackt, kommt nicht vor.
Ergo war Harrison auch nicht sehr glücklich mit Fleischers Regiearbeit, die er zu trivial und reisserisch, eben „boulevardisierend“ (sein Wort dazu) fand. Seine Intention, die Perversität der Bonzen anzuprangern, kam ihm zu schwach zur Sprache. Zuviel Skepsis. Die steckt (auch) drin. Irgendwie auf jeden Fall.
Anspielungen auf die grünen Lebensmittel mit dem widerlichen Hauptbestandteil gibt es in zahlreichen Filmen und Fernsehserien (Futurama, Die Simpsons..), Computerspielen (Command & Conquer) und in der Popmusik: Der Track Soylent Green der 1980 gegründeten Berliner Punk-Band „Soilent Grün“ (ein Vorreiter der Ärzte) wurde 1993 zu einem Hit der Schwarzen Szene. Es gibt sogar grüne Cracker unter dem Namen, Vertrieb Parallax Corporation; und der amerikanische Softwaredesigner Rob Rhinehart brachte Anfang 2014 das Nahrungspulver „Soylent“ auf den Markt.
Soylent Green in aller Munde. Und immer im Blick. Trocken formuliert:
„Übrigens bleibt uns bald vor lauter Überbevölkerung und Umweltzerstörung nichts anderes übrig, als uns gegenseitig aufzufressen.“ (Tagesspiegel, Januar 2000, Georg Seesslen)
Böse aber auch.
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Sonntag, 17. Januar 2016

Kolja, der Menschenfresser


Klingt wie ein billiger Filmtitel. Tatsächlich ist es der kompromisslose „Spitzname“ des Mörders und Kannibalen Nikolai Dzhumagalijev, der so unaussprechlich wie irgendwie unbekannt ist. Erstaunlich ist das zweifellos. Menschliche Bestien haben für gewöhnlich einen Ruf, dessen dumpfes Echo einmal um den Globus geht. Und Dzhumagalijev zählt zu den Abscheulichsten.

Nikolai "Kolja" Dzhumagalijev
Nikolai „Kolja“ Dzhumagalijev
Der gebürtige Kasache, Jahrgang 1953, ermordete weit über einhundert Frauen. Er vergewaltigte sie. Er zerstückelte sie. Er trank ihr Blut. Er füllte Teigtaschen mit ihrem Fleisch und Innereien, alles gut durch den Wolf gedreht. Er kochte und briet sie und bot sie ahnungslosen Gästen an. Und das alles fand nicht irgendwann im Irgendwo statt, sondern gestern auf der Landkarte (fast) um die Ecke. Nur hörte man so gut wie nie etwas darüber. Wie bei Fällen aus dem damaligen Ostblock üblich, wurden fast keine Angaben zu Serienmördern publik gemacht.
„Metal Fang“ Dzhumagalijev, der Mann mit dem Weissmetallgebiss, – er verlor früh seine Vorderzähne, ließ sich silbrig glänzende Stifte einsetzen -, taucht nicht in der Liga der weltweit zu Blutruhm gelangten Serienkiller auf, denen Hollywood & Co. ein Stück Kinogeschichte und damit auch Unvergesslichkeit schenkten. Im damaligen Ostblock hielt man sich bedeckt mit Angaben über die Greueltaten in eigener Nachbarschaft, die Presse scheute Rot, man machte wenig publik, ließ weniger noch die Grenzen passieren.
Vielleicht ist es der Satz seiner Mutter Marija, der Nikolai Dzhumagalijev gestern und heute auch für die breite Öffentlichkeit einen Platz unter den berühmten dunklen Seelen einräumt, bei deren Namen die Augen groß, die Stimmen leise werden. Ein Satz, der hängen bleibt, weil er so viel schlichte Erkenntnis zeigt, so viel Schulterzucken, so viel Hilflosigkeit.
„Ich habe all meine Kinder anständig erzogen. Aber irgendwann wurde es dunkel in Koljas Kopf.“
Vielleicht ist es auch Dzhumgalijevs eigene Erklärung seines Denkens und Handelns. Abgrundtief hassen würde er die Frauen, alle wären sie Schlampen, Nutten, Ehrlose, „verabscheuungswürdige, übelste Wurzeln der Menschheit“, und er würde sich als Kämpfer gegen das Matriarchat verstehen.
„Ich vernichte das weibliche Geschwür in der Gesellschaft.“
Dzhumagalijevs gestörtes Weltbild fand erstmalig 1980 unter Zeugen Einlass in Polizeiakten und ärztliche Gutachten: Im Haus seiner Eltern bei Almaty in Kasachstan überraschten ihn Bekannte dabei, wie er die Leiche einer jungen Frau, der Kopf und Hände fehlten, über einer Schüssel ausbluten ließ. Der damals 27-Jährige hatte die Frau zuvor vergewaltigt, mit einem Jagdmesser getötet, verstümmelt, aufgeschlitzt, ausgetrunken. Die Miliz verhaftete ihn. Erstmalig.
Viele Jahre, Morde, Justizskandale darauf erklärte er, menschliches Blut zu trinken würde ihn erleuchten und innerlich reinigen.
In Handschellen
In Handschellen
Dzhumagalijev gestand nach seiner Festnahme und den folgenden Ermittlungen noch sieben weitere Morde, – bei dieser Zahl blieb er stur trotz entsetzlicher Beweislage -,  und führte die Polizeibeamten zu den Verstecken, wo die Überreste der entstellten Leichen zu finden waren.
Wie ein Archäologe habe er sich dabei gefühlt, erzählte er später.
Wie ein Todeskandidat wohl eher nicht. Auf ihn wartete nicht der Henker, er wurde aufgrund psychiatrischer Begutachtungen und Entscheidungen in eine geschlossen Anstalt für Geistesgestörte eingewiesen. Dort blieb er neun Jahre. 1989 schaffte er es, bei der geplanten Überführung in eine Spezialklinik auszubrechen und unterzutauchen.
„Metal Fang“ war zwei Jahre auf der Flucht, und da die Behörden nichts öffentlich machten, hätte es auch gar keine Hinweise aus der Bevölkerung geben können. Der große, drahtige Mann mit dem markanten Gebiss war ein Unbekannter. Der zuerst in Moskau, wieder in Kasachstan und letztendlich in Usbekistan weiter Frauen auflauerte, sie vergewaltigte, ermordete und zu Mahlzeiten verarbeitete. Das Handwerkszeug zum Zerteilen der Leichen, – Beil, verschiedene Messer, Verpackungsmaterial -, trug er stets in einem Rucksack bei sich.
„Den getöteten Frauen schnitt er manchmal die Brüste und Wadenmuskeln ab. Gelegentlich pökelte er die Körperteile oder dörrte das Fleisch auf dem Dachboden. Die abgeschabten Knochen vergrub oder verbrannte er. Weil er wusste, daß Zähne erst bei Temperaturen um 800 Grad zerstört werden, zermalmte der handwerklich geschickte Mann diese verräterischen Reste seiner Opfer, um jede Spur zu verwischen.“ (Spiegel-Reportage, Martina Helmerich, 1995)
In Usbekistan wurde Dzhumagalijev 1991 ausfindig gemacht und verhaftet, um erneut in einer psychiatrischen Anstalt untergebracht zu werden. Experten gehen davon aus, dass er bis zu seiner Wiederergreifung zwei Frauen pro Woche getötet hat. Trotzdem kam er 1994 aufgrund eines gefälschten Gutachtens, – „Koljas“ Schwester hatte den leitenden Arzt bestochen -, wieder frei und wurde in die Obhut seiner Familie in Kasachstan entlassen.
Den Behörden in Usbekistan war das ganz recht, der politische Umbruch sorgte für genügend Chaos überall, da sollten sich die Kollegen im Nachbarland kümmern. Auch, wenn der besagte Arzt sich schon etwas besorgt, dann doch freilich mehr geldgierig gezeigt hatte: „Eine Garantie, dass er geheilt ist, kann ich nicht geben.“
Die Leute in Dzhumagalijevs Heimatort Almaty hatte man natürlich nicht gefragt: Die fürchteten sich vor dem „Menschenfresser“, und etliche Dorfbewohnerinnen wie die Kolchosmelkerinnen, die ihre Schicht in der Früh um vier antraten, forderten von der Polizei Begleitschutz. Seine Mutter sperrte ihn im Haus ein, auch nach der langen ärztlichen Behandlung schien selbst ihr, die weiter nur geliebt hatte, ohne zu sehen,  der Sohn nicht wirklich geheuer zu sein. Schließlich flüchtete der, beargwöhnt und verflucht von den Nachbarn, in die nahegelegenen Wälder.
Vor Gericht
Vor Gericht
Inzwischen war der korrupte Arzt aufgeflogen und man fahndete erneut nach Nikolai Dzhumagalijev. Im Frühjahr 1995 nahm ein Soldat einen Landstreicher mit gefälschten Papieren in Gewahrsam, der versucht hatte, völlig betrunken über den Zaun eines Regierungsgebäudes zu klettern. Ein Blick auf das Fahndungsblatt im Revier, ein unglaublicher Treffer: Es war „Metal Fang“.
Er wurde festgenommen. Kam vor Gericht. Urteil? Unklar. Einige wollen wissen, dass er sich wieder oder immer noch in der Psychiatrie befindet und dort behandelt wird, andere Quellen sagen, dass er endlich oder längst schon hingerichtet wurde.
Und dann gibt es noch diese Meldung vom 8. Januar 2016:
Gelang Serienmörder die Flucht?
„Ein berüchtigter Serienmörder soll in Kasachstan aus der Psychiatrie geflohen sein. Dies berichtet die „Sun“, ohne jedoch eine Quelle für ihre Information zu nennen. Bei dem Mann soll es sich um Nikolai Dzhumagalijew handeln. Der inzwischen 63-Jährige erlangte in den 1980er Jahren schaurige Berühmtheit als „Kolja, der Menschenfresser“. (…) Dschumagalijew soll bereits am 23. Dezember aus einem Gefängniskrankenhaus geflohen sein. (…) Seit Silvester ist die 22-jährige Saida Aksanowa verschwunden. Örtliche Medien spekulieren, sie könnte das jüngste Opfer von Kolja, dem Menschenfresser, geworden sein.“ (n-tv>panorama)
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Mittwoch, 13. Januar 2016

Ted Bundy

Er war einer von den smarten Kerlen, die Mütter gern als Schwiegersöhne hätten. Charmant, gebildet, höflich, attraktiv zudem. So ausgesprochen klingt das nach Bilderbuchmann. Klingt aber mehr nach krassester Gänsehaut, wenn man den Namen raunt.
bundy313Ted Bundy: Einer der gefährlichsten, kältesten und grausamsten Serienkiller in der amerikanischen Geschichte. Einer, dem für offiziell von ihm gestandene 33, schätzungsweise aber 60, vielleicht auch für 100 begangene Frauenmorde im Florida State Prison am 24. Januar 1989 im Morgengrauen 2300 Volt durch den Körper gejagt wurden. Mit seinem Tod auf dem elektrischen Stuhl endete eine Serie an perversen Gewalttaten, die eine Blutspur durch sieben US-Bundesstaaten hinterließ, deren unverwechselbarer Gestank nach Entsetzen, Angst und Schmerz bis heute die Luft verpestet.
Seine letzten Worte vor der Hinrichtung waren ein Gruß mit seiner unverwechselbar sanften Stimme an „meine Familie und Freunde“.
Der freilich blieb weniger in der Erinnerung haften als seine Überzeugung.
„Ich war nicht pervers.“
Und letztendlich sein Jammern.
„Ich will nicht sterben.“
Ted Bundy, dieser kluge, so selbstsicher auftretende Beau, wäre für seine Greueltaten gern mit dem Prädikat Unzurechnungsfähig davon gekommen. Ein letzter Versuch seiner Anwältin Polly Nelson, die darauf plädierte, dass er psychisch krank und nicht verantwortlich sei, um Bundy vor dem von ihm mit Furcht und gleichsam mit Unverständnis erwarteten Urteil zu bewahren. Das war 1979, ein Jahr nach seinem letzten Mord in Florida, wo man ihn nach einer beispiellosen Jagd über den gesamten nordamerikanischen Kontinent endlich verhaftete. Da war er dreiunddreißig.
Bundy landete 1980 wegen dreifach erwiesenen Morde im Todestrakt, und erst am Tag vor seiner Hinrichtung gestand er immerhin weitere 30 Morde, schilderte sogar, wie er einigen der Frauen posthum den Kopf abgetrennt habe, um diesen eine Weile in seiner Wohnung als Souvenir aufzubewahren. Bundy, dreimal zum Tode verurteilt, wartete neun Jahre auf die Vollstreckung, von den Anwälten verzögert für irgendeine groteske Gnade.
Vorausgegangen war eine von Kaltschnäuzigkeit blutgetränkte Odyssee eines Mannes, der seit 1973 mordete, verhaftet und aus Mangel an Beweisen wieder laufen gelassen wurde, der mordete, wieder geschnappt wurde, floh, weiter mordete, Bundesländer durchquerte, mordete, bis er 1978 endgültig gefasst wurde.
Mark Harmon
Mark Harmon
Der Fall bot bis dahin schon genügend Material für Titelseiten, TV-Sendungen, Bücher Doktorarbeiten und, drei Jahre vor der Hinrichtung, gut Stoff für eine sehr wohl beachtenswerte Film-Produktion (The Deliberated Stranger – Alptraum des Grauens, Regie: Marvin J. Chomsky) mit dem „Sexiest Man Alive“ (People Magazine 1986), Mark Harmon, in der Rolle des Killers. Der Film, ein zweiteiliges Drama, basiert auf dem gleichnamigen Buch des Seattle Times-Reporters Richard W. Larsen, der Ted Bundy interviewt hatte.
Während der Flucht und Fahndung setzte das FBI  ein Kopfgeld von 100.000 Dollar auf ihn an. Und warnte die weibliche Bevölkerung eindringlich, auf der Hut zu sein vor diesem so gefährlichen Mann mit dieser so großen Anziehungskraft.
Bundy flirtete. Darin war er erfolgreich, er war ein Frauentyp. Frühere Bekanntschaften von ihm erinnerten sich an seine ungewöhnliche Ausstrahlung, seine jungenhaft kokette Art.
Dass er zugleich ein Mistkerl war, bestätigten Ex-Freundinnen wie Ann Rule im Nachhinein:
„Ein sadistischer Soziopath, der das Leid eines anderen Menschen genoss.“
Dass diese sadistische Neigung eines selbstverliebten Psychos sich in Massenmorden entladen würde, hat allerdings hat wohl keine seiner Verflossenen auch nur in ihren schlimmsten Visionen geahnt.
Bis auf Elizabeth Kloepfer, eine frühere Geliebte, bei der nach den ersten Leichenfunden in Seattle ein Phantombild und die Suche nach einem VW-Käfer, den ihr alter Freund Bundy fuhr, die Alarmglocken läuteten. Sie informierte die Polizei, Ted wurde auf die Liste der Verdächtigen gesetzt. Das war 1975. Und das war es vorerst. Sein bestialisches Spiel ging, nachdem Bundy Seattle, wo er Jura studiert hatte, nicht nur weiter. Es wurde extremer.
Seine ersten etlichen Opfer, langhaarige junge Frauen, oft Studentinnen, verschleppte, folterte, vergewaltigte und tötete er, indem er sie erschlug oder erstach, anschließend verstümmelte oder „nur“ verscharrte, ohne sich an den Leichen nochmals sexuell zu befriedigen. In Utah und den angrenzenden Staaten Idaho und Colorado, wo Bundy sich nach Seattle aufhielt, verschwanden erneut immer wieder Frauen. Es boten sich Schreckensbilder. Ihre toten Körper waren entstellt, geschändet, von Bisswunden versehrt, einige der Opfer schienen nachträglich geschminkt worden zu sein.
Bundys letzte Anwältin Polly Nelson, die den Killer vergeblich für unzurechnungsfähig erklären lassen wollte, erklärte sehr viel später:
„Ted war die Verkörperung des herzlosen Bösen.“
Ob sie das von Anfang an so gesehen hat oder es im Nachhinein so sehen wollte, bleibt fragwürdig. Bundy war in der Lage, trotz allem, was die Vernunft strikt dagegen sprechen lässt, Menschen für sich zu gewinnen und zu beeinflussen. Prozessbeobachter zeigten durchaus Respekt vor seinem beeindruckenden Auftreten und seiner Intelligenz.
Prozess in Miami
Prozess in Miami
Für etliche Frauen im Gerichtssaal, die zu den Verhandlungsterminen kamen und ihm ins Gefängnis schrieben, ihn dort auch besuchten, war Bundy primär keineswegs der perverse Triebtäter, sondern der gutaussehende, sensible, so sympathisch auftretende Mann, dem irgendwie großes Unrecht widerfuhr. Einige himmelten ihn geradezu an, vielleicht in der Überzeugung, mit einer von ihnen an seiner Seite wäre er der bessere Mensch geworden. Oder könnte es noch werden.
Der Verwaltungsangestellten Carol Ann Boone machte Bundy, nachdem sie in den Zeugenstand gerufen wurde, einen Heiratsantrag. Die schwer verliebte Carol wurde Mutter, als Bundy bereits im Todestrakt saß. Ob es Bundys Tochter ist, – sie wäre jetzt 34 -, wurde nie wirklich bestätigt, offiziell zumindest waren sexuelle Kontakte während der Besuchszeit für ihn streng verboten. Mittel und Wege gab und gibt es aber immer, auch Bestechung wäre drin gewesen.
Der TV-Prediger James Dobson interviewte Bundy in seiner Todeszelle vor laufenden Kameras am 23. Januar 1989, einen Tag vor der Hinrichtung. Der zeigte sich gesprächig, erzählte von seiner Familie, seinem Studium, von seiner Lust an Pornografie und von den toten Frauen. Und lächelnd beschrieb er sich selbst:
„Ich war eigentlich eine normale Person. Ich führte ein normales Leben. Bis auf diesen kleinen, doch sehr machtvollen und destruktiven Bestandteil, den ich vor allen geheim hielt.“ (Ted Bundy)

bundymalfies1988 nahm Krimiautor Thomas Harris ihn in seinem Psychothriller Das Schweigen der Lämmer (Film: 1991) als Vorlage für den Killer „Buffalo Bill“. 2002 wurde die Geschichte des schönsten Bösen Amerikas nach der Verfilmung von 1988 mit Michael Reilly Burke als Bundy (Titel schlicht: Ted Bundy, Regie: Matthew Bright) ) nochmals auf die Leinwand gebracht, ein drittes Mal dann 2008 mit Corin Nemec (Bundy: An American Icon, Regie: Michael Feifer) in der Rolle des Mörders.
In der Popkultur wird Ted Bundy, dessen Asche in den Bergen der Kaskadenkette im US-Bundesstaat Washington liegt, als Ikone des Wahnsinns dargestellt. Diese Frage der Ehre teilt er sich mit Charles Manson & Co.

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