
Der erste echte Mörder, den ich schon mit Zahnlücke und Haarschleife kannte. Namentlich. Jack The Ripper. Vergleichbar mit dem bösen schwarzen Mann, den flüsterte man auch und wähnte ihn in der dunklen Ecke. Zur Entwarnung hieß es dann, der sei schon lange tot. Geschnappt hätte man den aber nie. Deshalb glaubte ich das mit dem definitiv tot nur bedingt. Später war mir klar, dass auch Serienkiller irgendwann sterben müssen. So oder so.
Nur: Wie besonders war denn dieser?Und wie klammheimlich hat er sich von der Weltbühne verabschiedet? Mit der Pest im Leib wohl kaum, die ist länger her, und Fairplay spielt das Leben eh‘ bedauerlich selten.


Ergo: Vermutlich ist der mysteriöse Ripper (= Aufschlitzer) zumindest im Weltlichen ungestraft davongekommen, vielleicht irgendwo in einem urigen Hinterhaus mit Blick auf die Themse steinalt geworden. Über 300 Personen waren im Fall der „Whitechapel-Morde“ dringend tatverdächtig , 80 wurden verhaftet. Privatermittler und eine Bürgerpolizei waren neben Scotland Yard und den offiziellen Londoner Beamten fieberhaft auf der Suche nach dem Richtigen. Dabei hätte man es gern gesehen, wenn der gerade mal kein Engländer gewesen wäre. Eher vielleicht ein Franzose oder ein Deutscher wie der Maler Walter Sickert, der auch zu den mit Argwohn betrachteten Kandidaten für das Schafott gehört hat.
„Ein Engländer als Täter? Völlig unmöglich! Man hatte ja die Auswahl – entweder polnischer Jude oder vielleicht Russe, wenn man schon nicht irgendeinen Farbigen als Ripper präsentieren konnte. Alle Verlautbarungen waren haargenau auf die puritanische Gesellschaft zugeschnitten und dienten gleichzeitig dem besseren Verständnis der großen Politik, in der Rassefragen eine bedeutende Rolle spielten.“ („Der Würger von Notting Hill – Große Londoner Kriminalfälle“, Christian Heermann)
Vergebliches und vor allem höchst ungutes Wunschdenken. Zu einer Anklage kam es eh nie. Was mit in die Zukunft genommen wurde aus jenen düsteren Tagen sind lückenhafte Polizeiakten und ein Phantombild, erstellt nach zeitgenössischen Zeugenaussagen, das einen recht kleinen, etwa 25–35 Jahre alten Mann mit Schnurrbart und hohem Haaransatz zeigt.
Wer weiß schon, was wirklich geschah, wer Jack the Ripper tatsächlich war, dieser legendäre Serienmörder, der im Frühherbst 1888 im Londoner East End mindestens fünf Frauen grausam getötet hat. Allen schnitt er die Kehle durch, verstümmelte und entstellte sie, schnitt ihnen den Brustkorb auf, weidete den Unterleib aus. Er ließ die Körper auseinander klaffen, legte Gedärme frei, entfernte Organe. Es waren schauerliche Leichenfunde. Es folgte eine spektakuläre Fahndung.
Und sie ging um den Globus. Rund um Jack the Ripper entwickelte sich ein Wirrwarr von Wissenschaft, Verschwörung und Legendenbildung, die Presse ließ international den Atem anhalten, man gierte förmlich nach News. Jack the Ripper: Und niemand kannte seinen Namen. Und niemand kannte sein Gesicht.
You’ll never see the face
Of the man in the window
Heart begins to race
He’s the one to spring you a surprise
Aaah, The ripper master of disguiseCold steel, whisper in the night
He’ll be at your side, with a smile and a knife …(Motörhead, 1992)
Kriminologen Historiker und etliche Laiendetektive verdächtigten bei weitem nicht nur die klassischen dubiosen Gestalten, darunter waren auch Prominente wie Sir William Gull, Leibarzt der Königin, Prinz Albert Victor, bekannt als passionierter Bordellbesucher, und der Dichter Lewis Carrol (Alice im Wunderland). Spannend war auch die Saga um ein heimliches Kind des Enkels von Königin Viktoria (Jack) und die Freimaurer.
Etliche waren fest davon überzeugt, der „Ripper“ sei zweifellos ein Cirurg angesichts der durchaus professionell mit dem Messer bearbeiteten Opfer. Einen psychopathischer Schlachter oder Metzger zog man auch in Betracht. Alles blieb Spekulation.

Wie eben Mary Ann Nicols, Anni Chapmann, Elizabeth Stride, Catharina Eddowes und Mary Jane Kellys, die (nur) fünf Frauen, die definitiv auf das kranke Konto des nie Gefundenen gehen.
Sie waren bedauernswert leichte Opfer in einer Zeit, die den Unprivilegierten kaum Platz zum Atmen bot. Allein die Londoner Hafengegend war völlig überbevölkert, das Leben der Leute spielte sich auf den Straßen, in Pubs, Armenunterkünften ab. Englands Metropole war in der Mitte des 19. Jahrhunderts ein gefährliches Pflaster, Armut, Alkohol, Raub, Gewalt bestimmten das Bild, die Menschen waren frustriert, aggressiv, rassenfeindlich. Mary Ann, Anni, Elizabeth, Catharina und Mary Jane gehörten zum Kreis der unzähligen Frauen, die keine andere wirkliche Chance für sich sahen als die, dort draußen in dunklen Kneipen und Gassen anzuschaffen. Sie waren bei weitem nicht die Einzigen, die dafür einen hohen Preis bezahlten.

Die bestialische „Technik“, mit der die fünf Frauen so kurz nacheinander umgebracht wurden, der fürchterliche Anblick der entsetzlich zugerichteten Leichen, dann die Bestätigung der Experten, es müsse sich um ein und denselben Täter handeln, anschließend die Vermutung, auch weitere Morde ähnlich grausigen Kalibers seien ihm, dem schrecklichen Unbekannten, zuzuschreiben, zusätzlich noch die im zukünftigen Verlauf zur Debatte stehende Erkenntnis, dass dringend etwas gegen das gegenwärtige Elend als Zielscheibe menschlichen Unrechts getan werden müsse….all das machte aus den „Whitechapel-Morden“, bezeichnet als die „Kanonischen Fünf“, eine absolute Sensationsgeschichte.
Aber keine Erfolgsgeschichte für Scotland Yard. Es fehlten schlichtweg die Mittel, man war noch nicht soweit, was Forensik, Profiling, zumal von Sexualtätern, und Ermittlungstechnik betrifft, und man tat sich schwer mit der Psychoanalyse eines offensichtlichen Sexualtäters mit perverser Vorgehensweise.
Das erste bekannte Täterprofil des Mörders von dem Chirurgen Thomas Bond zeigt, wie wenig man (noch) zu sagen hatte. Leicht kopfschüttelnd liest man eben nur:
„Alle fünf Morde wurden ohne Zweifel von derselben Person begangen. In den ersten vier Fällen schienen die Kehlen von links nach rechts durchschnitten worden zu sein. (…) Alle Umstände, die die Morde umgaben, haben mich dazu veranlasst, mir die Meinung zu bilden, dass die Frauen unten gelegen haben müssen, als sie ermordet wurden, und dass in jedem Fall die Kehle zuerst durchgeschnitten wurde.“

Die Bestseller-Autorin Patricia Cornwell zerschnitt für ihr Buch „Wer war Jack the Ripper – Portrait eines Killers“ sogar ein Bild des Malers Walter Sickert (1860 – 1942), um versteckte Hinweise zu finden, dass der ehemals Verdächtigte sehr wohl etwas mit dem namentlich berühmtesten aller Serienkiller zu schaffen gehabt hat. Immerhin hatte der auch das Bild „Jack the Rippers Schlafzimmer“ gemalt. Das von Cornwell zerstörte brachte freilich nichts zutage. Es war kaputt. Mehr nicht.
Ein dolles Ding, über das der exzentrische Künstler selbst vermutlich süffisant gegrinst hätte.
copyright by Karin Reddemann
erschienen unter www,phantasikon.de
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen