Mittwoch, 2. Dezember 2015

Gespenstergeschichten

„Du musst so gut sein, dass der Leser schon beim ersten Durchblättern dem nächsten Heft entgegenfiebert.“ Streng sprach der Hexenmeister. Der Zauberlehrling nickte eifrig. Und machte. Er war gut. Er lieferte, was erwartet wurde. „Wenn du für uns arbeitest, musst du alles zeichnen können.“ Er konnte. Er war verdammt gut.
AchimTisch
Achim Danz
Der Zauberlehrling von damals, Achim „Mister Akim“ Danz im ganz normalen Leben, war zum Zeitpunkt seiner Begegnung mit Großmeister Ewald Fehlau vom Bastei-Verlag längst kein Greenhorn mehr in der Comic-Branche, hatte bereits eine eigene, selbst kreierte Serie Die Söldner(Norbert Dargatz-Verlag), die im Mittelalter, 13. Jahrhundert, spielt. Die Gespenster-Geschichten, seit 1974 im Handel, für die Redakteur Fehlau den damals 29Jährigen unbedingt haben wollte, waren für ihn als Zeichner Neuland. Ein ungeheuer packendes, spannendes, reizvolles, – was sonst? -, das ihm freilich auch als Leser (noch) nur recht bedingt vertraut war.
„Ich habe mich da mehr als nur durchgeblättert, immerhin musste ich gegen eine Schar internationaler Künstler antreten. Man sprach eine riesige Fangemeinde an, die ihre Ansprüche hatte und nicht enttäuscht werden wollte. Bei solchen Sachen ist immer Hundertprozentigkeit angesagt. Absolute Voraussetzung ist, dass ein Zeichner sich mit den verschiedenen Epochen und Kulturen auskennt, in denen die Stories spielen, alles soll und muss stimmen, der typische Stil, das echte Umfeld, die der Zeit entsprechende Mode; da wird korrekt recherchiert.“
Neugierig geworden auf ihn war Fehlau über den gemeinsamen Kollegen Norbert Dargatz, für den Danz seit 1982 arbeitete (Piccolos). Der informierte ihn darüber, dass der Redakteur von Bastei ihn auf der Comic-Messe in Köln gern mal sprechen würde. Thema: Der düster-bunte Verkaufsschlager Nummer eins im deutschsprachigen Raum, Spanien, Italien, Frankreich…, die zu diesem Zeitpunkt schon legendären Gespenster-Geschichten.
„Ich saß dort an meinem Söldner-Tisch und signierte, blickte auf, da stand er, guckte, grinste, gemütlich mit Pfeife im Mund. Fehlau.“
Auf den sollte Achim Danz in den Folgejahren noch des öfteren treffen. Er sagte (natürlich!) zu, übrigens mit absolutem Einverständnis von Dargatz, der beim Deal dabei war. Er verlor seinen Zeichner ja nicht, freute sich ergo mit und war vielleicht auch ein wenig gebauchpinselt, weil er so einen ordentlich Guten an der Hand hatte. Und der konnte zufrieden und tatkräftig ans Werk gehen: Die Gespenstergeschichten, in denen etliche von uns „Horroristen“ ehemals und sowieso manchmal immer noch (nicht lügen!) still und heimlich oder laut und unbekümmert schmöker(te)n, waren jetzt der genial schaurig-schöne Ort, an dem er sich schöpferisch austoben konnte.
Und immer wieder nach diesem genial-simplen gleichen Motto: „Seltsam?Aber so steht es geschrieben…“
Erdacht haben soll sich den Slogan (so Fehlau in der Sprechblase, Comic-Magazin, Nr. 133) der damalige Chefredakteur Manfred Soder, geistiger Vater der Gespenstergeschichten. Inspiriert hat ihn wohl und tatsächlich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit REPLEY’S believe it or believe it not. Danz: „In Repley’s Museen sind extrem gruselige und skurille Dinge der Menschheit ausgestellt, in Pattaya (Thailand, dort lebt er das halbe Jahr) gibt es eins, das kenne ich natürlich. Zum Schaudern!“
Der Spruch der Sprüche stand also, ein perfektes Pendant zu „Und wenn sie nicht gestorben sind…“, und die Geschichten traten ihren Siegeszug an mit hübsch-herrlichem Horror auch für die etwas zarter Besaiteten. Die Hefte hatten eine Wahnsinnsauflage, die gab es an jedem Kiosk, jedem Bahnhof in ganz Westdeutschland, Österreich und Westberlin.
Maulenden Kritikern mit bösen Zungen zum Trotze, die da meinen, das sei trotzdem nicht mehr als triviales Papier, krasser gar noch, inhaltsloser Schund-Kram: In den Gespenstergeschichten steck(t)en nicht nur absolute Hand- und Wertarbeit, Phantasie, Talent und Fleiß; die Hefte als eh‘ passionierte Leseratte mit Heißhunger auf alles eben auch zu kennen, zu lesen und zu mögen hat garantiert keinem geschadet, der später ein echter (!) und richtig gut finsterer Autor geworden ist. Danz:
„Horrorliteraten pflegen nicht selten ihre ganz besondere Beziehung zu solchen Geschichten. In den Händen hielten alle die Hefte schon. Wie lange im Einzelfall fest gehalten wurde? Da darf spekuliert werden.“
Er selbst ist sozusagen seit Ur-Zeiten passionierter Cineast, liebt guten, echten Horror und nennt eine stattliche Filme-Sammlung sein Eigen. Die Gespenster-Geschichten stehen und zählen für sich, er nennt sie„professionell und sauber gemacht, für das etwas andere Genre eine Bereicherung.“
Und was das Handwerk betrifft, so zählt Danz eben zu den heutzutage Beneidenswerten, die für ihre Kunst keine Programme brauchen. Und nicht wollen: „Billig-Ware am Computer würde ich nicht machen. Funnies sind auch nicht mein Ding. Ich bevorzuge es naturalistisch.“ Geht halt auch anders.
„Austoben“ in der Praxis, oben angesprochen, das bedeutete freilich harte, disziplinierte Arbeit. Und war ein Job, der einigen recht krass ihre Grenzen zeigte. Danz:
„Die meiste Zeit war ich der einzige deutsche Zeichner bei Bastei, einige lieferten nur ein kurzes Intermezzo mit ein, zwei Stories, danach beauftragte Fehlau sie nicht mehr. Die passten nicht, was sie machten, war nicht das, was sein sollte. Vor allem war es immens wichtig, sich an die Gebote von oben zu halten. Das war ja auch richtig, da saßen die Macher, die Profis. Es war ausschließlich ihr Baby. Wer das nicht einsah, musste gehen. Fehlau wetterte dann, Bastei sei schließlich kein Hobby-Verlag, wo man mal eben probieren kann.“
Es gab natürlich, so Danz, auch wirklich gute Leute, die wohl hätten dabei sein können.
„Die wollten nicht, die gingen lieber in die Werbung, da war mehr zu verdienen. Einigen war unser Job auch zu unseriös, die suchten was mit einem anderem Anspruch, was auch immer. Und dann waren da die Abgehobenen, die wollten zwar, aber ganz vernünftig betrachtet waren die nicht brauchbar für einen Massen-Comic, der ja nun Hinz und Kunz ansprechen sollte.“
Er selbst hat in seiner Zeit bei Bastei (1986 – 1992) zwei Horror-Comics in Eigenregie, – Idee, Zeichnung, Text -, entworfen, sie aber seinem Redakteur nicht angeboten; veröffentlicht wurden sie im CCH-Verlag in der Serie Utopische Welt.
„Die waren bzw. sind schlichtweg zu hart, zu grausam für solche Hefte. Die Gespenstergeschichten stehen letztendlich nicht als Garant für schlimmste Alpträume, sie dienen eher der harmloseren Unterhaltung mit natürlich getrost kleinem, feinem Nervenkitzel.“
Danz und seinen Mitstreitern, fast ausschließlich spanische und südamerikanische Zeichner, wurden für die netten Nervenkitzel-Comics von der Redaktion Drehbücher mit konkreten Beschreibungen und exakten Abläufen geschickt, geliefert von Script-Schreibern, die sich die Stories ausdachten und anboten. War die Post aus Bergisch-Gladbach, Verlagssitz, da, tickte die Uhr lauter. Für eine komplett auf Zeichenkarton zuerst mit Bleistift vorgezeichnete, anschließend mit Tuschefüllern (Rapidographen) und Pinseln geinkte Gespenstergeschichte, ergo fünf/sechs Seiten mit mehreren Einzelbildern, waren ca. fünf Wochen bis zum Abgabesignal angesetzt. Dann wurde koloriert, und das Textmaterial erhielt seinen Platz. Bezahlt wurde pro Seite, Motto galt und gilt: Künstler sind ja prinzipiell bescheiden (das stammt nicht von Danz).
Für ihn fiel mit Die Ärztin der Startschuss bereits kurz nach seinem Gespräch mit Fehlau Mitte 1986, dieser jungen Frau erging es übel: Sie eröffnet ihre Praxis in einem ihr noch fremden Ort, wird zu einem kranken Mädchen gerufen, untersucht es, sagt, das sei nichts Schlimmes, die Dorfbewohner glauben das aber nicht und unken unheilvoll, sie wüssten sowieso, dass die Kleine stirbt. Selbstverständlich stirbt sie. Unbegreiflich für die Ärztin. Aber dann geschieht, nun, Düsteres mit ihr. Unglaubliches eben. Seltsam? Aber so…
Danz machte sich ran, Fehlau im Ohr. Der riet sinngemäß: „Zeichne, wie du bist, schau dir nichts ab, hab deinen eigenen Stil. Wer einen Hansrudi Wäscher will, soll Wäscher sehen und lesen, keine Kopie.“
Und weiter hieß es im Klartext: „Zeichne klar und deutlich, Bild für Bild im logischen Bewegungsablauf, dass auch wirklich jeder flüssig folgen kann, Spaß an deiner Story hat und die nächste haben möchte.“
Klingt einleuchtend, einfach freilich ist was anderes. Achim Danz‘ erster Entwurf von Die Ärztin (Titel im Heft, Nr. 651: Die Boten des Todes) wurde mit der Bitte um kleinere Korrekturen zurückgeschickt. Da hieß es dann „Seite 1, Bild 4/2: Bein links korrigieren, Wade abflachen, Hacke weg…, Seite 2, Bild 3/1: Mann vorne – bitte linke Gesichtshälfte am Auge schließen…, Seite 3, Bild 2/1: Schuh sieht aus wie ein Pantoffel, viel zu weit…, Seite 4, Bild 2/2: Bein rechts proportionaler, sieht aus wie eine Holzprothese…, Seite 5, Bild 1/1: Mann bitte etwas mehr in den Vordergrund rücken…“
Doch schon ganz schön streng pingelig. „Aber korrekt. Eben im Sinne des Erfinders.“ Danz:
„Ich hatte den Bogen dann doch relativ schnell raus. Aber trotz aller künstlerischen Routine hat man schon mal was, das will nicht so klappen, wie man sich das vorstellt, und das stört einen dann auch selbst.“
Bei ihm war es unter anderem ein Vierbeiner, der nicht wollte.
„Ich sollte ein ein ganz bestimmtes Pferd zeichnen, das haute und haute nicht richtig hin, richtig nervtötend war das, ging dann tatsächlich irgendwann, war endlich soweit okay auf dem Papier, gut so. Als das Heft dann erschien, prangte eine fette Sprechblase genau auf meinem Prachtgaul. Der war fast weg. Da holst du dann erst einmal Luft. Ganz tief Luft.“
Mit der Platzierung der Sprechblasen hatte der Zeichner nichts zu schaffen, die schrieb und klebte der 2014 mit nur sechzig Jahren verstorbene Hajo F. Breuer, Chef-Texter von Bastei seit 1973 nach dem späteren Chefredakteur Werner Geismer.
„Prinzipiell gab es auf jedem Einzelbild die sogenannten unauffälligen, für das Bild nicht wesentlichen Stellen, also Freiraum vom Zeichner für die Texte. Mein Pferd gehörte da aber eigentlich nicht zu.“
Den Kollegen Hajo F. Breuer, der seine Autoren-Karriere (Science-Fiction, Buchreihe Ren Dhark) als Übersetzer von Marvel-Comics begann und seit 1983 wöchentlich für die Gespenstergeschichten schrieb, hat Achim Danz recht aufgeschlossen, freundlich und unterhaltsam in Erinnerung. „Auf den Comic-Messen in Köln griff Breuer gern zum Mikro, der war so eine Art Entertainer, konnte gut reden.“
Fehlau
Fehlau als Opfer
Köln als Szene-Highlight für Verleger, Redakteure, Zeichner, Autoren, Händler und Fans des Genres galt und gilt als Kontaktbörse und Treffpunkt. Von den spanischen und südamerikanischen Könnern wie Antonio Garcia, Marco oder Montaña kannte Achim Danz freilich nur die Namen. Primär natürlich ihre spezifische Zeichenkunst. Ein Wiedererkennungswert, es gibt typische Unterschiede, den einen besonderen Stil eben, der unterscheidet. Wer den Gespenstergeschichten ihre selbstredend verdiente Aufmerksamkeit schenkt, weiß sehr wohl allein beim ersten flüchtigen Hinsehen, ob das ein echter Farres, Torrente oder Danz ist.
Vor einigen Jahren stieß Danz in Köln auf den Titelbild-Zeichner Ertugrul Edime, der einige Cover für Gespenstergeschichten gemacht hatte.
„Das war ein wirklich netter Zufall, da kommt man schnell und unkompliziert in ein gutes Gespräch. Aber ansonsten…es ist eben Single-Arbeit, die man da macht, ziemlich einsam, das Ganze. Ich kannte ja auch die Script-Autoren nicht persönlich, wir haben alle vom jeweiligen Zuhause aus gearbeitet, da gab es kein Studio in Bergisch-Gladbach. Namentlich genannt wurden die Schreiber in der Anfangszeit der Hefte noch nicht mal, auch der Texter nicht, da stand nur unter den Stories, wer sie gezeichnet hatte.“
Als seine erste Geschichte für Bastei veröffentlicht wurde, waren die Gespenstergeschichten bereits seit zwölf Jahren im Handel. 1974 war Danz ein 17jähriger Gymnasiast, der in seiner Freizeit zeichnete, damals schon deutlich besser als mal eben so nebenher, und „irgendwie war völlig klar, dass das mein Ding ist“. 1983 bot er seine Piccolos (Söldner) dem Dagartz-Verlag an. Es lief für ihn bereits mehr als ordentlich, da kam Bastei mit seinem Angebot.
Die Zeit war goldrichtig dafür. Comics jeglicher Couleur erlebten seit den 50ern in Deutschland einen Boom, der Jahrzehnte anhielt, kraftvoll anschlug und die etwas dunklere Seite der ganzen Bilderpracht mit ankurbelte. Man war dick im Geschäft. Zu Beginn (lange vor Fehlau, Breuer, Danz & Co.) hatte man sich bei Bastei noch mit Nachdrucken aus amerikanischen Gruselserien zufrieden gezeigt, später waren es die eigenen Kreationen, vom Redakteur über den Autor, den Zeichner, den Texter bis hin zum Drucker. In den 80ern entwarf und zeichnete auch Hansrudi Wäscher einige Stories für Gespenstergeschichten, in der Szene bekannt wie der besonders bunte Hund, Schöpfer von Comics wie Falk und Sigurd (die Cover kolorierte Danz, der übrigens eine beeindruckende Piccolo-Fangemeinde hat, Insider wissen hier mehr).
Eine unendliche Geschichte waren die Gespenstergeschichten letztendlich nicht: Irgendwann gingen nach und nach die Lichter aus. Die Auflage sank, Fehlau schickte Danz zuerst kaum noch, dann keine Skripte mehr, bedauerte. Er hätte leider keine Freiräume mehr für ihn, und Bastei sei noch an die Verträge mit Südamerika gebunden. Der Verlag fing an, alte Stories aus den ersten Heften nachzudrucken. Letzte Atemzüge. Im März 2006 fiel der Vorhang.
Einen Neustart wagte 2008 „Tigerpress“, der ging unrühmlich aus: Nach nur drei Heften musste das Projekt eingemottet werden, der Verlag war pleite.
Die Veröffentlichungen von Achim Danz wurden später unter dem neuen Serientitel Halbwelt vom Wildfeuer-Verlag in Sammler-Auflage, Piccolo-Format (17,0 x 7,7), nachgedruckt; mit Genehmigung von Bastei hat Danz dafür Breuers Texte in neue Sprechblasen handgelettert.
galgenUnd weiter? Die Hefte gibt es immer noch, auf dem Trödelmarkt, bei e-bay, auf Börsen, auf dem Speicher… Die Zeichner gibt es auch noch. Die Texter. Die Autoren. Die Ideen. Das Können. Chancen? Idealismus?
„Der Markt fehlt. Es ist nicht mehr so. Nicht mehr unsere Zeit. Nicht für die Pioniere.“
Danz zuckt mit den Schultern. Er hat in den Folgejahren andere Aufträge gehabt, weiter gezeichnet, natürlich, so was liegt im Blut, das kann man sich nicht einfach aussaugen und Schluss damit. Wenn er in Thailand wohnt, wird auch dort gearbeitet. Freunde hat er da zwar,- die sagen „Mr. Akim“ zu ihm -, und manchmal spazieren auch neugierige Äffchen in sein Haus und schauen ihm über die Schulter. Grundsätzlich aber ist er allein, wenn er etwas macht, braucht er seine Ruhe.„Rummel um mich mag ich nicht, kein Trubel, keine Hektik, das lenkt alles nur fürchterlich ab.“ Freilich, – und das gilt hier nicht als Widerspruch -, sagt er auch: „Der größte Horror für mich ist, allein am Schreibtisch zu versauern und einzugehen. Die Einsamkeit in diesem Job macht einen fertig.“

So ist das wohl. Und was hier bleibt, ist nur noch Geschichte. Die Legende einer Leidenschaft.
Seltsam? Nein. Schade.
copyright by Karin Reddemann
erschienen unter www.phantastikon.de

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